Nur verbal bewacht

AUS BERLINDOMINIK SCHOTTNER

Das Verteidigungsministerium hat in einem Ermittlungsbericht bestätigt, dass es im Januar 2002 einen Kontakt zwischen dem aus Bremen stammenden Türken Murat Kurnaz und deutschen Soldaten in Afghanistan gegeben hat. Zu entsprechenden Medienberichten hatte sich das Ministerium bis gestern nur ausweichend geäußert und darauf verwiesen, dass man in der Sache intern ermittle. Deutsche Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) trafen Kurnaz, als sie das US-Gefangenenlager in Kandahar zeitweise bewacht haben. Einer der Soldaten hat Kurnaz dem Bericht zufolge zugerufen: „Du warst wohl auf der falschen Seite.“ Der heute 24-jährige Kurnaz war nach seiner Entführung in Pakistan im Dezember 2001 in das Lager gebracht worden. Später war er vier Jahre lang in Guantánamo inhaftiert.

Christian Schmidt (CSU), parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium, sagte, der Kontakt zwischen Kurnaz und den Soldaten sei verbal und nicht körperlich gewesen. Ein Fehlverhalten der Soldaten sei nach derzeitigem Kenntnisstand nicht festzustellen. Vor zwei Wochen hatte Kurnaz in einem Interview mit dem Stern behauptet, von deutschen Soldaten misshandelt worden zu sein. Mit dem Bericht, der gestern dem Verteidigungsausschuss des Bundestages vorgelegt wurde, will das Ministerium Kurnaz’ Anschuldigungen untersuchen. Vor der Sitzung von Abgeordneten geäußerte Überlegungen, in der Angelegenheit einen eigenen Untersuchungsausschuss einzurichten oder den Verteidigungsausschuss mit der Untersuchung zu beauftragen, wurden jedoch wieder verworfen. Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Bernd Siebert, betonte, die Entscheidung solle erst fallen, wenn der Eindruck entstehe, dass man tiefer in die Materie einsteigen müsse.

Petra Pau, Abgeordnete der Linksfraktion und Ausschussmitglied, sagte der taz, sie habe zum ersten Mal gehört, dass KSK-Soldaten das US-Gefangenenlager in Kandahar zeitweise bewacht hätten. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Thomas Raabe, sagte, dies sei auf ein Gesuch der US-Truppen hin erfolgt. Der frühere Bundesrichter und jetzige Obmann der Linksfraktion, Wolfgang Neskovic, sieht in der Bewachung des Lagers mindestens eine Beihilfe zum völkerrechtswidrigen Verhalten der US-Amerikaner, wenn nicht sogar eine Mithilfe. Jeder Staatsanwalt könne jetzt die Soldaten und die verantwortlichen Politiker deswegen anklagen, sagte Neskovic der taz.

Anders der Obmann der Grünen, Winfried Nachtwei. Er denkt, die Bewachung des Lagers sei vom Auftrag des Bundestages an die KSK gedeckt. Der lautete primär: Jagd und Gefangennahme von Terroristen. Laut Nachtwei müsse nun, neben dem Schicksal von Murat Kurnaz, auch die Frage geklärt werden, ab wann die deutschen Soldaten sich von der Bewachung distanziert haben und wie das dem Verteidigungsministerium gemeldet wurde. Nachtwei hält die „totale Geheimhaltung der Informationen über KSK-Einsätze für nicht richtig“. Der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold sagte, es sei möglich, dass es im Jahr 2002 eine Zeit gegeben habe, in der die Aktivitäten, insbesondere des KSK, zeitweise der politischen Kontrolle entglitten seien. Verteidigungsminister damals: Rudolf Scharping. Nachtwei beschwerte sich über dessen Informationspolitik: „Damals fühlte ich mich nicht ausreichend informiert.“ Seit der Zeit Peter Strucks als Verteidigungsminister lichte sich der Nebel über der deutschen Afghanistan-Mission.