Das globalisierte Huhn

DOKUMENTARTHEATER Clemens Bechtels Stück „Cargo Fleisch“ setzt sich am Schauspielhaus kritisch mit dem globalen Nahrungsmittelmarkt auseinander

VON HANNA KLIMPE

Im Jahr 2010 wird in Sprötze bei Harburg ein fast fertiggestellter Hähnchenstall mit 30.000 Mastplätzen von Tierschutzaktivisten in Brand gesetzt. Auf einem Markt in Ghana werden Hähnchenbeine gehandelt, die man in Europa nicht will: Hier bevorzugt man das Brustfilet. Und im indischen Bangalore werden nach dem Ausbruch der Vogelgrippe Abertausende Hühner vergast.

„Das Huhn ist das am stärksten globalisierte Tier auf dem Nahrungsmittelmarkt“, erzählt Clemens Bechtel, Autor und Regisseur von „Cargo Fleisch“. Das Stück baut auf dokumentarischen Recherchen auf, die Bechtel in vier „Schlachtfelder“-Szenen übersetzt hat. Entstanden ist „Cargo Fleisch“ im Rahmen des dreijährigen Projekts „Hunger for Trade“, dessen künstlerischer Leiter Bechtel ist. Neun Theater, unter anderem aus Brasilien, Rumänien, Indien und Burkina Faso, sind an dem internationalen Theaternetzwerk beteiligt. Bei den Recherchearbeiten unterstützen sich die Theater gegenseitig: So hat Bechtel beim Indian Ensemble eine Recherche über die dortige Vogelgrippe in Auftrag gegeben, er selber interviewte einen Hamburger Geschäftsmann für das Teatrul Odeon, die eine Inszenierung über Landkauf von westeuropäischen Investoren erarbeiten. „Wir haben eine große Recherchedatenbank, können aber auch Recherchen in Auftrag geben – an Leute, die vor Ort sind und sich auskennen“, erklärt Bechtel.

Der 50-Jährige hat sich in Deutschland vor allem als politischer Dokumentartheater-Regisseur einen Namen gemacht, inszeniert aber auch gerne mal am Theater Freiburg eine Opernversion von „Oscar und die Dame in Rosa“. Und er hat immer wieder international gearbeitet, zum Beispiel in Rumänien, Dänemark, Mali oder Malawi. „Mich interessiert vor allem die Frage, wie man einer ökonomischen Globalisierung eine kulturelle gegenüberstellen kann“, so Bechtel. „Wo gibt es interkulturelle Verständigungsmöglichkeiten, wie unterschiedlich sind die Dimensionen?“

Dabei sind es nicht nur verschiedene Theaterformen, die in den Produktionen von „Hunger for Trade“ aufeinanderprallen, es geht vor allem auch um politische Fragen, die mit der ökonomischen Globalisierung direkt verbunden sind: „Das Royal Exchange Theatre wird zum Beispiel von Cargill gesponsert, einem der größten internationalen Nahrungsmittelkonzerne, die in Brasilien beim Sojaanbau und -export im Amazonas eine äußerst zweifelhafte Rolle spielen. Das sorgt natürlich für Diskussionen“, sagt Bechtel. Vor dem Problem, globalisierungskritisches Theater zu machen, das von internationalen Konzernen gesponsert wird, stehen viele soziale und kulturelle Projekte – wobei die Nutznießer meistens aus den Ländern kommen, die von dem globalen Handel letztlich profitieren.

„Hunger for Trade“ selbst wird gesponsert von der EU: „Da stellt sich natürlich auch die Frage, wie man zu einem gleichberechtigten Austausch kommt und den Eurozentrismus überwindet, wenn wir die sind, die die Kohle haben.“ Den Ansatz von „Hunger for Trade“, die Chancen und Probleme der eigenen Vernetztheit zu erfahren, betrifft die Beteiligten wie die Zuschauer gleichermaßen. Globalisierungskritisches Theater, in dem eine komplexe Thematik in vielleicht zwei Stunden dargestellt wird, steht dabei vor einem grundsätzlichen Problem: Entweder man bezieht Stellung und setzt sich dem Vorwurf der Polemik aus, oder arbeitet die Komplexität heraus, und was am Ende übrig bleibt, ist: Es ist alles furchtbar schwierig.

„Ich glaube, dass das Theater sich grundsätzlich etwas schwer tut mit Positionierung, was ich durchaus bedauerlich finde“, sagt Bechtel. „Mein Ansatz ist es allerdings auch, der Komplexität einer Sache erst einmal gerecht werden zu wollen. Allerdings gehe ich davon aus, dass man mehr ist als Deutscher, sondern eine globale Identität hat. Das sehe ich durchaus als Positionierung.“

Die Frage, ob man Hühnchenbrust essen solle oder nicht, sei dabei für ihn relativ irrelevant. „In der letzten Szene wird es ein Kind geben, das aus Rebellion gegen ein Diätcamp zu McDonalds geht. Das ist mir genau so sympathisch wie das Engagement der Tierschutzaktivisten. Beides ist ein Protest gegen ein herrschendes System.“

■ Fr, 25. 4., 20 Uhr, Schauspielhaus/Malersaal; weitere Termine: 26. 4., 16. 5., 17. 5., jeweils 20 Uhr, und 30. 5., 21 Uhr