Mehr als Musik

FESTIVAL Im Freizeitheim „Friese“ feiert am Wochenende eine Veranstaltungsgruppe Jubiläum, die Bremen zu einer Hochburg für innovative Klänge gemacht hat

■ Samstag, ab 19 Uhr: DJ Lexi, DJ Ren Hoek, City Hands, Innercity, Dietmar Dath, Datashock, Bastian Hagedorn, DJ Backstabber, DJ Easy Homez, Pretty Lightning, Flamingo Creatures

■ Sonntag, ab 19 Uhr: Sarah Diehl liest „Eskimo Limon 9“, Dolphins Into the Future, Jackie-O Motherfucker, Cian Nugent & The Cosmos, Worlds Dirtiest Sport, DJ Winkhorst Reisen, Orphan Fairytale, DJ Cosmo Knex, Weird Dust

■ Die Friese, Friesenstr. 124, Bremen, www.diefriese.de

VON ANDREAS SCHNELL

Schon der Name dieses Festivals ist ja ein bisschen merkwürdig: „Zehn Jahre Sissi und die Chinesische Wäscherei“ prangt auf den Plakaten, die für das Osterwochenende werben.

Die Namen der Künstler darauf dürften bei den einen für anerkennendes Zungenschnalzen, bei der Mehrheit allerdings wohl eher für Stirnrunzeln und Achselzucken sorgen. Eingeweihte wiederum könnten sich zwar wundern, dass neben einer Handvoll DJs auch Literaten wie Dietmar Dath und Sarah Diehl, die US-amerikanische Experimental-Rock-Band Jackie-O Motherfucker und das Saarlouiser Krautrock-Kollektiv Datashock auf den Plakaten verzeichnet sind. Aber sie werden es wohl nicht tun. Sissi und die Chinesische Wäscherei sind bei Stammgästen bekannt für eigenwillige Kombinationen. Schließlich sind sie selbst eine: Während Sissi Concerts sich mit verwegenen Untergrund-Happenings selbstironisch als „Sissies“ inszenierten, was im Umgangsenglisch in Richtung „Weichei“ verstanden wird, trat die „Chinesische Wäscherei“ zunächst mit Lesungen in Erscheinung. Längst bilden die ehemals getrennt veranstaltenden Gruppen ein Kollektiv, das mehr verbindet als das Interesse an Musik.

„Wir sind alle ein bisschen irre“, sagt Ausma Zvidrina, die den Buch- und Plattenladen „Golden Shop“ betreibt und Mitglied des Veranstalterbündnisses ist, zu dem außerdem Holger Lauster, Sebastian Sieben und Jens Fleischer gehören. Was wohl erklärt, wie es die vier bis heute miteinander ausgehalten haben: Schließlich erledigen sie den Konzertbetrieb neben Erwerbsarbeit und, in einem Fall, Familienleben. „Da liegen die Nerven auch mal blank“, sagt Lauster. Der Lohn? Ist ideell. Das Geld aus der Kasse geht komplett an die Künstler, es reicht, wenn die Veranstalter nicht auch noch draufzahlen müssen: Freundschaft hält dieses Konglomerat zusammen, da sind sie sich einig.

Kennengelernt haben sie sich der Legende nach zum Teil im Polizeikessel, vor allem aber schlicht dadurch, dass man sich im überschaubaren Bremen beinahe zwangsläufig im Plattenladen oder bei den interessanten Konzerten und Lesungen begegnet. Und seit Ende der 90er-Jahre finden die nicht zuletzt im Freizeitheim „Friese“, mitten im Viertel statt, seit der Konzertbetrieb im legendären Wehrschloss erlahmt war.

Seither sind Sissi und die Chinesische Wäscherei, zunächst getrennt, teils unter weiteren Labels wie Syntrox, seit 2004 zusammen, unverzichtbar für Menschen, die sich nicht mit dem begnügen, was in den Massenmedien die Kanäle verstopft. Auch wenn manche Band auf dem Weg zum Hype auch durch die Friesenstraße musste. Der größere Teil stützt eher die These, dass es tatsächlich Kunst gibt, die sich der Vereinnahmung durch die Kulturindustrie mittels ihrer ästhetischen Eigenschaften verweigert.

Dass derlei ästhetische Vorlieben in der Friesenstraße auf offene Ohren stoßen, ist für das Bremer Konzertleben ein Segen. Die über die Jahre entstandenen Freundschaften lassen manche Band nämlich schon einmal vergessen, dass es ja auch Hamburg und Berlin gibt, was Bremen zu einer echten kleinen Hochburg für innovative Musik zwischen Hochgeschwindigkeitslärm aus Japan, subtilen Ambient-Projekten, irrwitziger Performance-Kunst und Avantgarde-Pop, thailändischen 70er-Jahre-Grooves und fragiler Americana macht – die musikalischen Interessen sind weit gefasst.

Und auch literarisch erwies sich das Kollektiv als versiert und holte Autoren wie Dietmar Dath, den Foto-Künstler Miron Zownir, die unlängst verstorbene Almut Klotz, Clemens Meyer und andere in die Stadt.

Das darf, ja muss gefeiert werden. Bevor es dann am Freitag kommender Woche mit dem grandiosen psychedelischen Freiform-Space-Jazz von Al Doum & the Faryds schon wieder weitergeht. Es bleibt spannend.