Nicht ganz wie gewohnt

GENOSSENSCHAFTEN Solidarisches Gegenmodell und solide Geldanlage: Wohnprojekte bieten weitsichtige Alternativen zu mickrigen Bankzinsen

Um sein Geld dort anzulegen, muss man zwar nicht Mieter sein, aber Mitglied

VON KRISTINA SIMONS

Sparern treiben sie Tränen in die Augen: Zinsen, die Banken heute für risikolose Anlagen zahlen, dümpeln bei 0,05 bis 0,8 Prozent, wenn’s hoch kommt, auch mal bei 1 Prozent vor sich hin. Das reicht nicht mal, um die Inflation auszugleichen. Wohnungsbaugenossenschaften mit Spareinrichtung und Zinsen von 1,5 bis 3,75 Prozent für längerfristige Anlagen gelten deshalb als Geheimtipp.

Aktuell gibt es in Deutschland knapp 2.000 Wohnungsgenossenschaften mit etwa 2,2 Millionen Wohnungen im Bestand. 48 von ihnen bieten Sparpläne an: Festzinssparen über ein bis zehn Jahre, Sparbücher, Ratensparverträge oder auch Riesterverträge. Abgesichert sind die Gelder gleich doppelt: zum einen durch eine Sicherungsfonds des GdW Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, in dem die Genossenschaften in Deutschland organisiert sind. Den Fonds gibt es seit 1974, einspringen musste er noch nie. Zum anderen durch den Immobilienbestand der Genossenschaften, der in der Regel rund 80 bis 90 Prozent ihres Vermögens ausmacht.

„Bei einigen Genossenschaften müssen Mitglieder allerdings im Insolvenzfall Geld nachschießen, meist in Höhe der Pflichtanteile“, sagt Kirsten Paul, Vermögensverwalterin bei der Bewegungsstiftung. Doch das ist eher ein theoretisches Risiko, denn Genossenschaften gehen so gut wie nie pleite. Kontrolliert werden die Wohnungsunternehmen zudem von der Bankenaufsicht Bafin. Eine solide Geldanlage also mit respektablen Zinsen. Die lohnt sich auch für die Wohnungsgenossenschaften selbst, denn mit dem Geld können sie sehr viel günstiger ihre Immobilien instand halten, modernisieren oder neue bauen als über Bankdarlehen.

Um sein Geld bei einer Wohnungsgenossenschaft anzulegen, muss man zwar nicht ihr Mieter sein, aber ihr Mitglied. Interessenten müssen also erst mal Genossenschaftsanteile zeichnen, deren Höhe und Anzahl jede Genossenschaft selbst festlegt. „Die Anlage dieses – meist kleinen – Betrages ist quasi eine unternehmerische Beteiligung und langfristiger Natur“, erklärt Paul. Auf die erworbenen Anteile werde eine jährliche, jedoch gewinnabhängige Dividende geleistet, die meist 4 Prozent pro Jahr betrage. „Weitere Überschüsse fließen bei vielen Wohnungsgenossenschaften in die Rücklagen.“

Vor allem in Großstädten seien Gegenmodelle zum renditeorientierten Immobilienmarkt gefragt, der zu steigenden Mieten und zur Verdrängung einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen führe, so Paul. Eins dieser Gegenmodelle seien Wohnungsbaugenossenschaften. „Sie wirken der Immobilienspekulation entgegen und sorgen dafür, dass Wohnraum erschwinglich bleibt.“ Die Bewegungsstiftung, die soziale Bewegungen fördert, die sich für Ökologie, Frieden und Menschenrechte einsetzen, hat selbst bei vier verschiedenen Wohnungsgenossenschaften Spareinlagen über jeweils 100.000 Euro abgeschlossen. Eine davon ist die Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 eG.

„2013 hatten wir einen Zuwachs in der Spareinrichtung von rund 14 Millionen Euro und verfügen damit über einen Sparbestand von rund 170 Millionen Euro“, so eG-Vorstandsmitglied Thorsten Schmitt. Geld, das die Genossenschaft in ihren Bestand investiert und nicht in Wertpapiere. „Wer als Genosse bei uns Geld anlegen will, muss nicht zwangsläufig auch Mieter oder Mietanwärter bei uns sein“, erklärt Schmitt. „Bedingung ist aber ein Genossenschaftsanteil von 300 Euro.“ Zusätzlich können auch die Angehörigen von Genossen bei der „1892“ sparen.

Die 2012 im oberbayerischen Ohlstadt gegründete MARO Genossenschaft für selbstbestimmtes und nachbarschaftliches Wohnen eG baut Wohnprojekte für Demenzkranke und Pflegebedürftige sowie für Mehrgenerationenwohnen und finanziert das über Genossenschaftsanteile. Für das erste von A bis Z geplante Wohnprojekt in Weilheim, in das Ende 2015 eine Demenz-WG einziehen soll, kamen 820.000 Euro – etwa 40 Prozent der Gesamtinvestition – allein über sogenannte freiwillige Genossenschaftsbeiträge zusammen. „Wer Mitglied bei uns werden will, muss drei Anteile à 500 Euro zeichnen und hat damit ein lebenslanges Wohnrecht bei uns sicher“, erklärt Gründer und Vorstand Martin Okrslar. Wer darüber hinaus freiwillige Anteile erwirbt, unterstützt damit nicht nur den Bau der Projekte. „Auf die freiwilligen Anteile schütten wir nach einer 2-Jahres-Frist eine Dividende von 4 Prozent aus.“

Die Pflichtanteile der mittlerweile 150 Genossen – zu 70 Prozent Privatpersonen aus der Region, außerdem sechs Kommunen und zwei Stiftungen – dienen der eG hingegen als unverzinstes Eigenkapital. „Das ist unser Sicherheitspuffer.“ Eine Nachschusspflicht gibt es nicht. Ein Platz in der Demenz-WG wird 520 Euro Kaltmiete kosten. Hinzu kommen 65 Euro Nebenkosten. Ein Blockheizkraftwerk versorgt die Bewohner umweltfreundlich mit Strom und Wärme, die Hybridbauweise aus Beton und Holz sorgt für einen besonders guten Energiestandard. Für Renditejäger und Finanzinvestoren sei das Modell mit zweijährigem Dividendeverzicht und einjähriger Kündigungsfrist nicht interessant, weiß Okrslar. „Doch auf die sind wir auch gar nicht aus – sondern in erster Linie gemeinwohlorientiert.“