Problem bei Prognosen: die Zukunft

Deutsche Wirtschaft wächst dieses Jahr mit 2,5 Prozent viel schneller, als die Wirtschaftsforscher ursprünglich erwarteten. Wachstumsschätzung von 1,4 Prozent für 2007 steht auf wackeligen Beinen. Debatte über den Sinn der teuren Prophetie

AUS BERLIN BEATE WILLMS

Der Druck war groß: Nach eklatanten Fehlprognosen muss die wissenschaftliche Politikberatung ihre Daseinsberechtigung neu beweisen. Taugen die gemeinsamen Gutachten der sechs führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute zur Aufklärung über die wirtschaftlichen Zusammenhänge? Die gestern vorgelegte Herbstdiagnose bestätigte eher die Zweifler – und stellte die Experten vor ein kommunikatives Problem. Die Nachricht war eigentlich gut: Voraussichtlich wird die deutsche Wirtschaft 2006 um 2,5 Prozent wachsen – so viel wie seit zehn Jahren nicht mehr. Nur: Im Frühjahr hatten die Konjunkturforscher noch ein wesentlich geringeres Plus von 1,8 Prozent vorhergesagt – also mit ihrer Prognose wieder danebengelegen.

1,3 Millionen Euro bezahlt die Bundesregierung jedes Jahr, damit die Institute DIW (Berlin), Ifo-Institut (München), HWWA (Hamburg), ifw (Köln), IWH (Halle) und RWI (Essen) gemeinsam ein Frühjahrs- und ein Herbstgutachten erarbeiten – die Datenbasis für die Wachstumsvorhersage der Bundesregierung und die Steuerschätzung.

Die Erklärung, warum sie das Wachstum unterschätzt hatten, fiel den Institutsvertretern schwer. IWH-Experte Udo Ludwig verwies auf „endogene Einflüsse und Sondereffekte“. Die Unternehmen hätten höhere Gewinne gemacht und diese angesichts der 2007 anstehenden Erhöhung der Mehrwertsteuer schon jetzt in Ausrüstungsinvestitionen gesteckt, auch die Verbraucher zögen teure Käufe vor. Zudem hätten die niedrigen Zinsen und die niedrigen Lohnabschlüsse das Ihre beigetragen. Auf keinen Fall, betonte Joachim Scheide vom IfW, habe das Wachstum mit der „Politik der Merkel-Regierung“ zu tun.

Diese Einschätzung kann der Bremer Finanzprofessor Rudolf Hickel nicht teilen. „Entscheidend verfestigt hat den Aufschwung, dass die Finanzpolitik das Gegenteil von dem gemacht hat, was die Institute letztes Jahr vorgeschlagen haben“, sagte er der taz. „Sie hat die öffentlichen Investitionen erhöht, um die Dynamik zu erhalten – ohne falsche Rücksicht auf die Verschuldung.“

Ungeachtet dessen wiederholten die Experten gestern jedoch ihre neoliberalen Forderungen der Vorjahre: Statt die Einnahmen zu steigern, müsse die Bundesregierung sparen, Mehreinnahmen sollten nicht investiert, sondern zum Schuldenabbau verwandt, der Arbeitsmarkt müsse „flexibler“ werden. Scheide forderte „mehr Eigenverantwortung und weniger Staat“.

Während die sechs Institute hier nach dem Sinneswandel des ehemals nachfrageorientierten DIW inzwischen einhellig die Mainstream-Meinung vertreten, sind sich ihre Experten bei den Perspektiven uneinig. Die eine Hälfte hält es für möglich, dass die wirtschaftliche Erholung 2007 wieder vorbei ist, die andere glaubt, dass die Konjunktur gefestigt genug ist, um die höhere Mehrwertsteuer und den folgenden Einbruch bei der privaten Nachfrage zu verkraften. Statt jedoch zwei unterschiedliche Szenarien zu entwerfen, einigten sich die Forscher auf einen Mittelwert, den zwar niemand für besonders wahrscheinlich hält, der aber für alle im Bereich des Möglichen liegt: Sie prognostizieren 1,4 Prozent Wachstum für 2007. „Wir haben kein Modell, was passiert, wenn die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte erhöht wird“, gab Ludwig zu.

„Die Institute haben den Königsweg nicht gefunden“, so Hickel, „das relativiert ihre Empfehlungen.“ Deshalb sei es Zeit, das starre Beratungssystem zu ändern und den Kreis der geförderten Institute zu erweitern.

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