Romane statt Waffen

BEZÜGE García Márquez’ Romane stehen für den Traum von der weltenstiftenden Kraft der Literatur

BERLIN taz | Südamerika und seine Narrative von gescheiterten Revolutionen und US-amerikanischem Imperialismus, unterdrückter Leidenschaft und übermächtiger Natur sind die eine Quelle von Gabriel García Márquez’ Schaffen. Wer den Welterfolg dieses Autors erklären will, sollte aber auch die literarischen Bezüge sehen. Der US-Autor Jack Richardson hat 1970 geschrieben, dass Márquez’ Erzählkunst „eher einem Traum von der Fähigkeit der Kunst folgt als einer Sammlung von sozialen und historischen Wahrheiten“. Ein wichtiger Punkt. Márquez’ Romane leben vom Scheitern ihrer Figuren, aber auch davon, dass die Literatur die Fähigkeit hat, dieses Scheitern gültig auszudrücken. Wenn man so will, ein Sieg der Erfindungskraft über die alltäglichen Umstände des Lebens.

Seine Romane stehen ein für diesen Traum von der weltenstiftenden Kraft der Literatur. „Hundert Jahre Einsamkeit“, „Der Oberst hat niemand, der ihm schreibt“, „Liebe in den Zeiten der Cholera“. Bevor es stiller um Márquez wurde, waren solche Titel so präsent, dass in den 90er Jahren im Film „Das Leben ist eine Baustelle“ ein Graffito mit dem Satz „Die Liebe in den Zeiten der Kohl-Ära“ ganze Kinosäle zum Lachen brachte. Die Verbindung zu Márquez verstand jeder.

Man kann die Titel aber auch als Ausarbeitungen einer kindlichen Urerfahrung der allumfassenden Einsamkeit lesen, mit der sich Márquez – 1927 in der tiefsten Verlassenheit des kolumbianischen Hinterlandes geboren – nicht abfinden wollte und die ihn dazu brachte, seinen Geburtsort mit dem fiktiven Ort Macondo als Mittelpunkt der Welt neu zu erfinden.

Im selben Jahr 1967, als „Hundert Jahre Einsamkeit“ erschien, wurde Che Guevara im bolivianischen Dschungel erschossen. Man sollte dieses Zusammentreffen – eine der Urszenen des 20. Jahrhunderts – nicht so eng verstehen, dass nach dem Scheitern aller Revolutionshoffnungen nur noch die Literatur mit einem fiktiven Trost durch fantasiereiche epische Muster übrigbleibt. Wie dann? Vielleicht ja auch dahin, dass die Menschen auch andere Mittel haben, für ihre Anerkennung zu kämpfen, als bloße Waffengewalt. Romane, so viel Pathos muss nach dem Tod dieses Autors schon sein, gehören dazu. DIRK KNIPPHALS