gottschalk sagt
: Winterzeit

Nächste Woche werden wieder die Uhren umgestellt. Fragen sie mich nicht, in welche Richtung, ich mache einfach was die Regierung mir sagt und dann wird es früher dunkel. Die Sache mit der Zeitumstellung ist ohnehin nicht zu Ende gedacht. Wenn es darum geht, die Tageslichtspanne auszunutzen, sollte man länger schlafen und früher ins Bett gehen. Aber da werden sich vermutlich mal wieder die Arbeitgeber quer stellen. Kein Wunder, dass es bergab geht mit Deutschland, wenn Innovationen so schwierig durchzusetzen sind.

Die Einführung der Sommerzeit hatte übrigens nichts mit der Energiekrise oder einer europäischen Angleichung zu tun. Die wahren Hintermänner hatten andere Interessen. 6. April 1980. Meine Mutter hat gerade den Römertopf in den Ofen geschoben, als wir Flüche aus dem Wohnzimmer vernehmen: „Scheiße!“ „Verdammt, wie soll das...?“. Ich finde meinen Vater nach vorn gebeugt im Wohnzimmersessel sitzend. Seine Halsschlagadern sind stark angeschwollen. In einer Hand hält er einen Kugelschreiber. In der anderen seine sündhaft teure neue Digitaluhr. An der Seite sind zwei winzige Knöpfe angebracht, über die man alle Funktionen der Uhr steuert, indem man mit dem Kugelschreiber draufdrückt. Auf seinem linken Knie liegt ein Zettel von der Größe eines langen Zigarettenblättchens auf dem die Bedienungsanleitung in neun Sprachen untergebracht ist. Bei einer scheint es sich um eine Art Deutsch zu handeln. Für die Jüngeren sollte ich vielleicht erwähnen, das man 1980 unter einem Menü eine mehrgängige Mahlzeit verstand und nicht mit der Logik der Bedienung digitaler Geräte vertraut war. Aber mein Vater hatte nicht nur Verständnisprobleme („Warum blinkt die Scheiße hier jetzt?“) sondern rutschte immer wieder mit dem Kugelschreiber ab. Irgendwann war das Essen fertig und er beschloss die Zeitumstellung seinem Uhrmacher zu überlassen. Der schaute traurig und sagte „Die muss ich einschicken“. Mein Vater band sich seine alte „Kienzle“ wieder um. Die Digitaluhr kam zurück, machte sich allerdings nur noch bemerkbar, wenn es stündlich aus der Schublade piepste. Irgendwann war die Batterie alle.

Im noch jungen Digitaluhrsegment begann ein rapider Preisverfall. Die Uhren-mit-Zeiger-Lobby hatte gewonnen. Vorerst. Dialoge wie: „Wieviel Uhr“ - „Weiß nicht, hab mein Telefon nicht dabei“ hätte man damals für absurdes Theater gehalten.