Eine wunderschöne Filmkulisse

Das südafrikanische Kapstadt zieht nicht nur Touristen aus aller Welt an, auch die Filmindustrie hat die Stadt schon längst entdeckt. Ein Besuch des ältesten Viertels Bo-Kaap mit legendärem Stadtblick und ein Bummel über die populäre Long Street mit ihren Läden und Bars

Von MARTINA SCHWIKOWSKI

Im ältesten Viertel von Kapstadt, in Bo-Kaap, mischt Mariam Misbach die braunroten und knallgelben Gewürze nach einem alten Rezept ihrer Mutter. Der Duft des traditionellen Lamm-Curry, Bobotie und Breyani mit Hühnchen durchzieht das kleine Haus. Die 76-Jährige liebt den „Noon Gun Tea Room“, den sie mit ihrer Familie bewirtschaftet. Hier sind ihre fünf Kinder und manche der 15 Enkelkinder geboren, einige leben noch in Mariams Haus. Oder wieder: Der 30-jährige Zakk ist gerade nach zehn Jahren aus London zur Oma in die Teestube zurückgekehrt – er hielt es in der hektischen englischen Hauptstadt nicht mehr aus.

Mit einem großartigen Blick über den Hafen, den Tafelberg und die Stadt liegt ihr Ein-Raum-Restaurant am Ende der Longmarket Street auf dem Hügel oberhalb des Bo-Kaap, „das obere Kap“, wie das Viertel in Afrikaans genannt wird. Diese Siedlung besteht aus einer eng vernetzten multikulturellen Gemeinschaft, die dort mit den Anfängen der ersten Niederlassungen niederländischer Schifffahrer entstand. Es folgten deutsche, portugiesische und Seeleute aus der ganzen Welt. Die Seeleute waren es auch, die im 17. Jahrhundert Sklaven aus Ostindien, politische Flüchtlinge und sogar Prinzen muslimischen Glaubens auf ihren Booten der Handelsgesellschaften ans Kap brachten. Hier suchten sie Zuflucht vor den heftigen Stürmen oder wenn sie Schiffbruch erlitten hatten. Seefahrern hat es früher zehn holländische Gulden und eine Flasche Wein eingebracht, wenn sie das Ziel, den Tafelberg, zuerst sichteten.

Die Kap-Malaien kamen aus Indonesien, Sri Lanka, Indien und Malaysia und mischten sich mit den Europäern. Sie prägten auch den Islam am Kap. Mariams Vorväter waren auf den Java-Inseln beheimatet. Heute ist ihre Teestube, die am Ende der steilen Gassen des Malaien-Viertels liegt, ihr Zuhause. Sie wohnt unterhalb des Signal Hill in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Gräbern und Schreinen der Muslime auf dem Tana-Baru-Friedhof. In Bo-Kaap rufen die Muslime nach wie vor fünfmal am Tag zum Gebet. Die grellbunten Häuser sind von den ehemaligen Sklaven und Handwerkern aus Ostindien in architektonischem Stilmix aus Kapholländisch und Edwardianischer Zeit gebaut worden. Und sie finden immer häufiger einen europäischen Käufer, der die Stille, die Kultur und die Lage attraktiv findet. Noch haben die Einwohner ihre Traditionen beibehalten. Jedes Jahr am 2. Januar feiern sie den „Coon Carnival“ und ziehen singend in bunten Kostümen und Masken durch die engen Gassen. Dabei erinnern sie sich an den einzigen Tag, den ihre Vorfahren zur Sklavenzeit frei bekamen.

Jeden Mittag um 12 Uhr erzittert unter Mariams kleinem Teeraum die Erde. Dann böllert die historische Kanone aus dem Jahr 1806 ein Signal über die Stadt, das vor Jahrhunderten den Seefahrern in der Bucht die Uhrzeit meldete. Sie stellten ihre Chronometer nach, die auf langer Fahrt über die Ozeane vom Zeitkurs abgekommen waren. Die Wirtin hat sich an den Kanonendonner des „18-Pfünders“ mit 3,1 Kilogramm Pulver Ladung gewöhnt, der nur wenige Meter entfernt technisch minutiös geplant ausbricht. „Sonst würde mir etwas fehlen“, sagt sie. Der tägliche Kanonenschuss hat in Zeiten der Digitaluhren seine Bedeutung verloren, aber die Kapstädter leben gern mit dem Kanonendonner als Symbol ihrer Geschichte.

Mariam serviert Tee. Auch sie ist in ihrem Leben gereist, hat sich „in Europa umgeschaut“. Aber nichts möchte sie mit der Teestube eintauschen. „Wenn ich den Berg sehe, kehrt innere Ruhe ein. Dann weiß ich, wo ich hingehöre.“

Einige mit Kopfstein gepflasterte Straßen führen aus dem traditionsreichen Wohngebiet hinab in die „City Bowl“, die sich unterhalb des eigenartig flachen Plateaus des Felsmassivs mit den Bergspitzen Lion’s Head und Devil’s Peak über die Jahrhunderte ausgeweitet und eingebettet hat. Kapstadt ist Anziehungspunkt für internationale Kongresse, Modeschauen und Designer-Ausstellungen. Auch die Filmemacher haben Kapstadt längst entdeckt. Es bietet die perfekte „location“. Besonders Hollywood-Produzenten und Darsteller hat es in den letzten Jahren häufiger ans Kap gezogen, um dort die Szenen für ihre Kinohits zu drehen: vor der Kulisse des Tafelbergs und den Stränden in den nahen Buchten.

Kapstadts Kern ist klein, und die Attraktionen scheinen sich zu überschlagen. Die Seilbahnfahrt hinauf auf den 1.087 Meter hohen Tafelberg ist ein Erlebnis. Von oben sieht man auf die Stadt und die beiden Ozeane, die am Kap zusammentreffen. Wer fit ist, kann auch auf Schusters Rappen den steilen Berg erklimmen. Ein Bummel über die populäre Long Street, die mit 3,8 Kilometern zur Gründerzeit vor 300 Jahren die längste Gasse der Stadt war, lädt ein zum Verweilen in den Cafés oder zum Einkauf in den kleinen Modelädchen, die unter den schmiedeeisernen Balkonen der viktorianischen Häuserfassaden ansässig sind.

Nachts verwandelt sich Long Street zum Treffpunkt für Musikliebhaber, die zu den Rhythmen des Live-Jazz, afrikanischen Pop und HipHop tanzen. Auf dem Green Market Square in der Nachbarstraße haben fliegende Händler ihr Revier und machen Jagd auf Touristen, die später ihr Fluggepäck mit langhalsigen Holzgiraffen, Holzmasken und Perlenschmuck beschweren.

Magischer Anziehungspunkt ist die Waterfront mit dem Mix von exklusiven Einkaufshäusern, Restaurants und Jazzclubs in restaurierten Lagerhäusern. Dort, an der modernen Mandela Gateway gegenüber dem alten Uhrenturm, legen Fähren zu Rundfahrten ab, die durch die Tafelbucht auch nach Robben Island schippern. Besucher können sich heute von ehemaligen Wärtern dieser Gefängnisinsel erzählen lassen, wie dort die Insassen – neben Nelson Mandela auch viele andere prominente Regierungsmitglieder des Afrikanischen Nationalkongresses – ihre von der Apartheidregierung verhängten Strafen überlebten. Heute sitzen die früher wegen Staatsverrats verurteilten Häftlinge an der Macht, und ihr Weg führt täglich durch den Säuleneingang des historischen Parlamentsgebäudes in der Parliament Street nahe der Museumsmeile, um im Kabinett über fällige soziale Verbesserungen in ihrem Land zu entscheiden.

Zuwanderer aus ländlichen Gebieten, besonders die xhosasprachigen Schwarzen aus dem Ostkap, strömen in die Stadt – und landen meistens in den Armensiedlungen der riesigen Townships. Sehr oft bleibt ihr Traum von einer Arbeitsstelle und einem ordentlichen Dach über dem Kopf unerfüllt. Während in der City die neumodischen Apartmentblöcke im allgemeinen Bauboom der Wachstumswelle entstehen und die Preise kräftig anziehen, fehlt der Mehrzahl der Einwohner dieser Drei-Millionen-Stadt jeglicher Wohlstand.

Die Stadtzufahrt auf der Autobahn vom Flughafen führt wie eine Schneise durch die Elendshütten – manche Touristen gewöhnen sich schnell daran. Manche wollen bei einer Township-Tour sogar mehr über Land und Leute erfahren, oder sie vermeiden den Kontakt ganz – wie die meisten der wohlhabenden Kapstädter auch.