portrait
: Saltos in der autonomen Zelle

Am Morgen danach saßen sie in Aarhus in einem Konferenzraum mit Blick auf die Ostsee. Fabian Hambüchen, Wolfgang Hambüchen, Bruno Hambüchen. Wie der Vorstand eines gutgehenden Familienbetriebs, der seine Bilanz vorstellt. Das Geschäftsergebnis des Jahres 2006 ist ausgezeichnet. Die Hambüchen GmbH ist in die Weltspitze vorgedrungen. Fabian, der 18-jährige Kunstturner aus Wetzlar, hat bei der WM im Mehrkampf die Bronzemedaille gewonnen, gegen starke Konkurrenz aus Fernost, was Analysten zwar für möglich gehalten hatten, am Ende aber eine Überraschung war.

Wolfgang und Bruno Hambüchen – Vater und Trainer der eine, Onkel und psychologischer Helfer der andere – nickten beiläufig, als Fabian den Erfolg rekapitulierte. Auch sie hatten Mühe, zu fassen, mit welcher Souveränität der Turner sein Programm abgespult hatte. Dass es eine Medaille im schwierigen Mehrkampf war, macht sie zu einer WM-Plakette mit Sternchen. Die wegweisende Wettkampfentscheidung am letzten Gerät war im engsten Familienkreis getroffen worden. Nachdem Fabian Hambüchen seine bisherigen zwei Reckübungen in Aarhus verturnt hatte, beschloss er Sekunden vor der Reckübung im Zwiegespräch mit Vater Wolfgang, diesmal den Kovacs-Salto ohne ganze Schraube zu turnen. Bruno Hambüchen, der sich gerne als „Mental-Onkel von draußen“ bezeichnet, hatte vor dem Wettkampf ebenfalls eine richtige Entscheidung getroffen. Er beschloss, die Serie der verunglückten Reckübungen nicht anzusprechen, um dem Neffen keinen Komplex einzureden.

Hambüchens Bronze war die erste Mehrkampfmedaille seit 1993 und der größte Erfolg eines deutschen Turners seit Andreas Weckers Olympiasieg am Reck 1996 – und es war ein Erfolg, den die deutsche Turnerschaft gebraucht hat. Die Medaille bleibt dennoch vor allem das Produkt eines Familienunternehmens. Fast wie in einer autonomen Zelle wird in Wetzlar gearbeitet, der Vater organisiert das Training, Mutter Beate alles andere, weil der junge Turner im nächsten Frühjahr nebenbei noch das Abitur schaffen möchte. Auf die Idee der psychologischen Betreuung sind die Hambüchens selbst gekommen. Die Effektivität des Familienmodells macht mutig. „Diese ganze Medaillenplanerei, diese ganze Erwartungshaltung interessiert uns nicht“, sagt Wolfgang Hambüchen, „das brauchen in unserem System nur die Verbände, um an Fördergelder zu kommen.“ Bleibt der 18-Jährige gesund, kann er noch zehn Jahre lang bei allen großen Titelkämpfen in die Finale vorstoßen. Das ist eine Perspektive, die das deutsche Turnen schon lange nicht mehr hatte. JÜRGEN ROOS