„Der Wille allein reicht oft nicht“

Die DGB-Vize Ingrid Sehrbrock fordert die Regierung auf, bei ihren Reformen die soziale Balance zu wahren

taz: Frau Sehrbrock, Ihr Kollege, DGB-Chef Sommer, sagt, der heutige Aktionstag werde ein „deutlicher Warnruf aus der Mitte der Gesellschaft an die Regierung“. Sind Sie auch für die Ränder der Gesellschaft zuständig?

Ingrid Sehrbrock: Selbstverständlich kümmern wir uns auch um Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger. So fragwürdig der Begriff „Unterschicht“ auch ist, ein Gutes hat die Debatte aber: Endlich wird dieser Teil der Gesellschaft auch beleuchtet.

Die Einzelgewerkschaften widmen sich verstärkt der Tarifpolitik, der DGB könnte sich darauf besinnen, die große Linie vorzugeben. Was tun Sie da?

Vor dem Hintergrund der Hartz-Reform fordern wir einen ehrlichen zweiten Arbeitsmarkt. Auch brauchen wir ein Sofortprogramm für 50.000 zusätzliche Ausbildungsplätze. Und bei der Gesundheits- und Steuerreform muss die soziale Balance gewahrt werden. Die Stärkeren müssen die Schwachen stützen.

Was nützt das einem Mitglied der Unterschicht?

Von der Umsetzung unserer Vorschläge würden gerade auch diejenigen profitieren, die sich abgehängt fühlen, Langzeitarbeitslose und Jugendliche ohne Perspektive etwa. Aber es stimmt, dass viele Menschen resigniert sind, weil die Politik nichts für sie tut. Dazu kommt, dass nun auch hochqualifizierte Menschen Angst haben, abzurutschen.

Müssen die Menschen mehr wollen?

Das Verhältnis von Arbeitssuchenden zu offenen Stellen beträgt 7 zu 1. Wille, und sei er noch so groß, reicht da nicht.

Manche Menschen stecken in prekären Jobs fest. Was tun Sie dagegen?

Ein Praktikum etwa muss „echt“ sein, also Teil der Ausbildung und keine verkappte, schlecht bezahlte Festanstellung. Es muss zeitlich befristet sein und mit mindestens 300 Euro monatlich vergütet werden.

Das betrifft aber nur die Hochqualifizierten. Werden auch „Unterschichtler“ an ihrem Aktionstag teilnehmen?

Heute werden nicht nur Gewerkschaftler auf die Straße gehen. Wir arbeiten eng mit Sozialverbänden und Erwerbslosenvertretern zusammen. Ich verspreche: Der Protesttag wird keine Eintagsfliege bleiben.

INTERVIEW: D. SCHOTTNER