Der Blog ist ein Zwischenschritt

LATINALE Welche Chancen hat Literatur im Internet? Lateinamerikanische und deutsche AutorInnen diskutierten am Dienstag über Poesie und Facebook

„Es gibt kein Zurück in die Zeit vor Facebook“

RERY MALDONADO

Was die Form angeht, war die Eröffnung des lateinamerikanischen Poesiefestivals „Latinale“ geradezu konservativ: Alle sitzen zusammen in einem Raum und können sich hören und sehen. Inhaltlich hingegen ging es um Fortschrittliches, um Poesie und Blogger im Netz. „Strategien für eine neue kulturelle Öffentlichkeit“ sollten entwickelt werden, um neue Formen der Demokratie sollte es gehen.

Auf der Bühne im Ibero-Amerikanischen Institut saßen vier BloggerInnen und DichterInnen aus Lateinamerika und Deutschland, darunter einer mit dem schönen Namen Ezequiel Zaidenwerg und die schon zum Internationalen Literaturfestival Berlin eingeladene chilenische Schriftstellerin Lina Meruane. Die Moderatorin Rery Maldonado betreibt das Blogprojekt „Los Superdemokraticos“, ist also vom Fach. Und virtuell verwickelt war man auch bereits: Die Autoren Alan Mills und der in Berlin lebende, auch für die taz schreibende René Hamann bloggten bereits bei den Superdemokraticos, die sich im Netz mit allem auseinandersetzen, was einen im echten Leben so umtreibt: Liebe, Politik, Körperwahrnehmung, der Alltag.

Ein wenig mehr Information hätte man sich gewünscht über die Autoren, ihre Blogs und ihre Poesie. Aber aus geheim gehaltenen Gründen musste es schnell gehen: Kaum eine Dreiviertelstunde dauerten Vorstellung und Gespräch, und auch die Antworten auf Fragen, die natürlich zahlreich waren und um Form, Inhalt, die veränderten Beziehungen und Austauschmöglichkeiten im Netz gingen, konnten nur angerissen werden. Schade, denn die Zusammensetzung der Runde war interessant genug: Die dichterische Arbeit des einen ist aus dem Bloggen heraus entstanden, die andere kann sich nicht vorstellen, wie jener das Netz als „Probeöffentlichkeit“ zu nutzen und dort zu experimentieren. Der eine stellt seufzend fest, er sei populärer im virtuellen als im wirklichen Leben, der andere nutzt soziale Netzwerke nur vorsichtig, weil er fürchtet, auch dort kommerziell verschluckt zu werden. Einig sind sich die AutorInnen mit der Moderatorin, die feststellt: „Es gibt kein Zurück in die Zeit vor Facebook“ – man prägt es mit, oder man verlässt es. Und interessant ist die Haltung zum Buch: Noch ist es zumindest für einige das kulturell legitimierte Produkt, auf das mithilfe von sozialen Netzwerken und Blogs hingearbeitet wird. Der Blog ist hier nur als Zwischenschritt gedacht.

Zum fünften Mal findet die Latinale dieses Jahr statt, ein kleines Jubiläum. Sie reist nicht wie sonst durch eine Handvoll deutscher Städte, sondern beschränkt sich auf Berlin. Nicht schlimm, findet die Leiterin Rike Bolte: „Wir sind klein und möchten es auch bleiben.“ Die jungen AutorInnen sind handverlesen und wurden oft bei Reisen von Bolte oder ihrem Kollegen, dem taz-Autor Timo Berger, entdeckt. Beide sind unterwegs als Übersetzer, Publizisten, Lateinamerika-Begeisterte. Nicht zu unterschätzen ist auch die Bedeutung des Festivals als Autorentreff: Viele der 14 AutorInnen kennen sich nur virtuell, nun wird es real. „Wir haben die Idee des sozialen Netzwerks auf literarischer Eventebene fortgesetzt“, sagt Bolte. Überhaupt, auch die Latinale hat sich dem Bloggen verschrieben: Die Website gibt es nur noch als Blog. Wer die Autoren in Echtzeit erleben möchte: Sie lesen und performen heute und morgen im Instituto Cervantes. #

PATRICIA HECHT

■ 11. 11.: „Soundtracks und andere Beschwörungen“; 12. 11.: „Kleine Unfälle: Das Ende des Imperiums“. Lesung und Performance im Instituto Cervantes, spanisch/deutsch, vollständiges Programm unter latinale.blogsport.eu