: Goth von heute
KONZERT Wer sagt denn, dass Goth düster, destruktiv und todesselig ist? Die One-Woman-Band Zola Jesus zeigte im Festsaal Kreuzberg eindrucksvoll, dass es ganz anders geht. Der Hauptact des Abends, Xiu Xiu, blieb dagegen blass
VON ANDREAS HARTMANN
„Support-Acts sind eine Plage. Sowohl für den Support-Act als auch für den Headliner, der einen Support-Act tolerieren muss – es ist einfach ein Riesenscheiß.“ Das schreibt Luke Haines in seinen eben erschienenen Memoiren, „Bad Vibes“, die vom erfolglosen Versuch seiner Band The Auteurs in den frühen Neunzigern handeln, Popstarruhm zu erlangen. Haines’ Buch erzählt von einer vergangenen Zeit und einer untergegangenen Welt, der des Britpop; vielleicht ist das der Grund, weshalb seine Einschätzung der Rolle der Vorband nichts mit dem zu tun hatte, was beim Konzert von Xiu Xiu und Zola Jesus im Festsaal passierte. Beide Bands aus dem amerikanischen Underground sind miteinander befreundet, sie teilten sich früher auch die Musikerin Angela Seo, die sowohl bei der One-Woman-Band Zola Jesus als auch bei Xiu Xiu, dem Eigenbrötlerprojekt von Jamie Stewart, mit zugange war. Insgeheim wird sich Stewart aber vielleicht doch auch gedacht haben, dass Support-Acts eine Plage sind. Denn die vor ihm auftretende Nika Roza Danilova, die sich Zola Jesus nennt, stahl ihm die Show, und das Publikum im übervollen Festsaal Kreuzberg war offensichtlich ihretwegen da.
Das lag wohl auch daran, dass im Indie-Zirkus unserer Tage die Hypes so schnell kommen und wieder gehen. Vor ein paar Jahren noch galt das Schaffen von Jamie Stewart als der irrwitzige Gegenentwurf zu Antony & The Johnsons. Queerer Artpop mit Folksprengseln und Gitarrenfeedbacks, dazu Texte über Selbsthass und Morbides, aufregender ging es kaum. Doch genau dies kommt einem jetzt schon wieder so gestrig und langweilig vor wie die neue Platte von Antony.
Stewart griff trotz des sichtbaren Zuschauerschwunds tapfer in die Saiten seiner Gitarre, sang sich mit gequälter Stimme durch seine Songs, während seine Mitstreiterin Angela Seo mal technoartige Beats beisteuerte oder schlicht auf ihrem Synthesizer herumdrückte. Dabei versuchten beide nach Jazzmanier herumstehende Schlagzeugbecken und anderes Instrumentarium auf originelle Art und Weise perkussiv zu benutzen. So schlug Stewart beispielsweise nicht bloß auf das Becken ein, sondern auch auf dessen Ständer, Hauptsache, es wirkte unkonventionell. Songs wurden so reihenweise zerbröselt, und der Wille zur Kunst zerstörte jeden gelungenen Ansatz in Richtung Pop sofort wieder.
Kommen wir also lieber zur Vorband, zu Zola Jesus. Diese Band wird der neuen Indie-Subströmung des Hypnagogic Pop zugerechnet, manchmal auch Glo-Fi genannt, der in der deutschsprachigen Fachpresse noch überhaupt keinen Anklang gefunden hat. Hypnagogic Pop ist eine neue Form psychedelischer Musik, die von Glam bis Wave alles zitiert und diese Zitate wie einen bunten, surrealen Traum wirken lässt. Somit ist die 21-jährige Nika Roza Danilova in der medialen Wahrnehmung, die von der italienischen Vogue bis zum englischen Indie-Fachblatt NME reicht, ebenfalls eine Art Fabelwesen: eigenbrötlerisches Goth-Mädchen, Fashion-Ikone, Thomas-Bernhard-Leserin und Nietzsche-Fan. Außerdem ist sie angeblich ausgebildete Opernsängerin, was sich aber nur schwer überprüfen ließ, da ihr Gesang von den Synthieflächen, die für ihre Musik so kennzeichnend sind, verwaschen wurde.
„Goth ist wieder cool“, schrieb unlängst der NME. Zola Jesus bestätigte dies. Sie zitierte Goth-Ikonen wie Jarboe oder Lydia Lunch, transformierte deren destruktive Musik jedoch in ein Bad aus Synthieflächen, zu denen sich niemand die Pulsadern aufschneiden mochte. Außerdem trat Zola Jesus den Beweis an: Schwarz muss nicht mehr sein. Der Goth von heute darf durchaus langes, gelocktes, blondes Haar tragen.
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