Die Zeit der blauen Wunder

Hannover 96 verliert auf Schalke glanzlos mit 1:2. Unklar bleibt Trainer Dieter Hecking, warum seine Spieler bei den Schalker Toren Pate standen – und kaum Interesse zeigten, Zweikämpfe zu gewinnen

Jetzt schon Abstiegskampf? „Es wird eine ganz harte Saison“, sagt Hecking

von Marcus Bark

Philip wird inzwischen wieder in guten Händen sein. Der Stadionsprecher des FC Schalke hatte Philips Eltern kurz vor dem Halbzeitpfiff ausrufen lassen. Der Sohn habe nach dem Torjubel ein wenig die Orientierung und dabei auch seine Eltern verloren. Im Zelt des Roten Kreuzes könne er abgeholt werden.

Ähnlich wie Philip erging es am Samstag einigen Spielern von Hannover 96. Sie hatten vor dem Treffer, der das Kind vorübergehend von seinen Eltern trennte, die Orientierung verloren. Schalkes Kevin Kuranyi durfte ohne Störung den Ball mit der Hacke zu Lincoln spielen, der ihn dann ohne Störung annehmen und mit der Hacke zu Levan Kobiashvili weiterspielen durfte.

Das war wunderhübsch anzusehen, und deshalb wäre es irgendwie auch fies gewesen, wenn die Hannoveraner just vor dem finalen Akt richtig zur Sache gegangen wären. Also ließen sie den Georgier ungestört ausholen und in der 27. Minute das 2:0 erzielen. „Solch ein Tor siehst du normalerweise nur in einem Freundschaftsspiel“, sagte Hannovers Trainer Dieter Hecking nachher .

Hecking war sauer. Es war nicht einmal so sehr das 1:2 auf Schalke, die erste Niederlage für ihn als Trainer bei 96, die ihn verstimmte. Es war die Art und Weise, die ihm missfiel, und die er sich nicht erklären konnte. „Fragen sie die Spieler“, empfahl er den Journalisten.

Aber von deren Seite kam auch nicht viel Erhellendes. Für Jiri Stajner hatte die Mannschaft in der ersten Halbzeit „zu viel durch die Mitte gespielt“ und „zu viel gefoult“. Dadurch habe es für Schalke zu viele Möglichkeiten durch die so häufig bemühten Standardsituationen gegeben. Diese Sicht der Dinge war ziemlich originell, denn die beiden Schalker Treffer wären mit einem energischen Eingriff, es hätte gar kein herzhaftes Foul sein müssen, zu verhindern gewesen.

Beim 1:0 für die Schalker durch einen frechen Schuss von Zlatan Bajramovic ins linke Eck, das Torhüter Robert Enke gütigerweise frei ließ, verpasste es Jan Rosenthal, einzugreifen. Der 20 Jahre alte Mittelfeldspieler stand in seinem vierten Bundesligaspiel zum ersten Mal in der Startelf. Die Nervosität, die Hecking für „völlig normal“ hielt, war ihm anzumerken. Nachdem Bajramovic ihn vor dem 1:0 düpiert hatte, schien es ganz vorbei zu sein.

„Er ist mit den anderen untergegangen“, sagte Hecking und sprach damit die schwächste Phase der „Roten“ an: „Zwischen der zehnten und 45. Minute haben wir keinen Zweikampf gewonnen, unsägliche Fehlpässe gespielt und bei beiden Toren Pate gestanden.“ In der zweiten Hälfte wurde es ansehnlicher, aber nicht besser, denn das ist die Steigerungsform von gut.

Ein bisschen Versöhnliches fand sich dennoch für die Hannoveraner. Rosenthal, der im zentralen offensiven Mittelfeld hinter zwei Stürmern (Vahid Hashemian und Stajner) spielte, raffte sich nach der Pause auf und zeigte eine ordentliche Leistung. Es gelang ihm sogar sein erster Bundesligatreffer. Aus 18 Metern drosch er den Ball in den linken Winkel. Es muss ein tolles Gefühl gewesen sein, genauso wie es vor dem 0:1 ein fürchterlicher Moment gewesen sein muss. Was er empfand, durfte Rosenthal nicht sagen. Der Trainer hatte ihm aufgrund seines Alters geraten, keine Interviews zu geben.

Wenn Dieter Hecking gewusst hätte, was Jiri Stajner unten in den Katakomben erzählte, hätte er ihm trotz der zehn Jahre Vorsprung gegenüber Rosenthal wohl auch das Wort entzogen. „Das denke ich nicht“, sagte der Tscheche locker auf die Frage, ob es für die Hannoveraner nur darum gehe, den Abstieg zu vermeiden. Genau das Gegenteil verkündete Hecking: „Es wird eine ganz harte Saison. Wer denkt, dass man mal ganz schnell da unten rauskommt, der wird sein blaues Wunder erleben.“