Beim Wort „Russland“ hört der Spaß auf

RESSENTIMENTS In der Hauptstadt Kiew ist die Ablehnung des Nachbarn und seiner Politik gegenüber der Ukraine deutlich spürbar. Auf dem Maidan harrt immer noch ein harter Kern von Demonstranten aus. Bis zu den Präsidentenwahlen am 25. Mai, sagen sie

„Wir haben Europa gesucht und die Ukraine gefunden“

OLGA, FOTOGRAFIN AUS KIEW

AUS KIEW BERNHARD CLASEN

Es sind fast nur Frauen, die sich mit dem Aeroflot-Flug SU 1800 auf den Weg von Moskau nach Kiew machen. Grund des Männermangels an Bord ist das von Kiew vor wenigen Tagen verhängte Einreiseverbot für russische Männer von 16 bis 60 Jahren. Damit will das Land verhindern, dass sich russische Staatsbürger an den Besetzungen öffentlicher Gebäude im Osten des Landes beteiligen.

Niemand rührt die druckfrischen russischen Zeitungen an, die vor dem Eingang des Flugzeuges kostenlos angeboten werden. „Ich habe leider meine Handschuhe vergessen“, sagt eine 50-Jährige zu ihrer Begleiterin. Am Kiewer Flughafen Borispol werden alle russischen Staatsbürgerinnen genau nach dem Zweck ihrer Reise befragt.

Der Maidan im Zentrum von Kiew ist wie ausgestorben. Noch immer steigt Rauch aus den Öfen der rund hundert Großzelte auf der Hauptstraße Kreschtschatik auf. Die meisten Menschen auf dem Unabhängigkeitsplatz sind Passanten oder Neugierige, die einen Blick auf den Platz werfen wollen. Die Cafés am Platz sind nur mäßig besucht. Vorbei sind die Zeiten, als vom Ruß der Zeltöfen geschwärzte Männer vor den Toiletten der Cafés Schlange standen und anschließend 5-Liter-Behälter Trinkwasser mitnahmen.

Doch die wenigen, die in den Zelten ausharren, wissen, warum sie bleiben. „Die da oben sollen sehen, dass sie nicht machen können, was sie wollen. Solange nicht die Verantwortlichen für die über hundert Toten des Maidan bestraft werden, werden wir bleiben“, erklärt ein Mann in olivgrüner Kleidung. „Wenn wir heute einfach den Platz räumen würden, würden die morgen wieder die Wahlen fälschen. Das werden wir nicht zulassen“, fügt sein Zeltnachbar hinzu.

Die Menschen sind freundlich, freuen sich über jeden Gesprächspartner. Doch kaum fällt das Wort „Russland“, ist es vorbei mit der guten Laune. „Klar, Russland ist ein Volk von lauter Friedensnobelpreisträgern“, antwortet Olga, Inhaberin eines Foto-Ateliers, auf die Bemerkung, die Russen wollten doch auch nur Frieden. „Wir sind es doch nicht, die unser Nachbarland mit Waffen bedrohen. Das machen doch die Russen mit uns.“

„Wir wollen überhaupt nichts von Russland, Putin soll uns einfach nur in Ruhe lassen. Wir wollen nur Frieden“, erklärt die 40-jährige Finanzberaterin Swetlana. Andrej, ein Journalist, der als Kind mit seinen Eltern von Russland in die Ukraine gezogen ist, will ein Gastgeschenk aus dem Ausland zuerst nicht mal in die Hand nehmen: Schließlich könnte es ja aus Russland sein.

Doch es gibt auch Bemühungen, dem Hass auf alles Russische entgegenzusteuern. Im ukrainischen Fernsehen wird wieder deutlich mehr Russisch gesprochen. „Ich unterstütze die Sanktionen gegen Russland. Ich würde mich auch freuen, wenn die Verbraucher vieler Länder die Annexion der Krim mit einem Boykott russischer Produkte bestrafen würden“, so die Fotografin Olga. Militärische Maßnahmen für eine Rückeroberung der Krim lehnt sie aber ab. Sie bewundert die ukrainischen Soldaten, die allen Erniedrigungen zum Trotz den Einsatz von Waffen abgelehnt haben, um so ein Blutvergießen zu verhindern.

In ihrem Privatleben setzt sich die mit einem russischen Staatsbürger verheiratete Unternehmerin für mehr Verständnis für die Menschen in Russland ein, lässt nicht zu, dass in ihrer Anwesenheit Russen als „Moskaly“ beschimpft werden. Von den westlichen Politikern ist sie enttäuscht. Außer verbaler Besorgnis sei von Europas Politikern nichts zu erwarten. Letztlich könne die Ukraine nur aus eigener Kraft zu sich finden. „Wir haben Europa gesucht und die Ukraine gefunden“, sagt sie am Ende des Gesprächs.