Vertriebenes Anderes

In Hamburg wird eine Ausstellung über verfemte und verfolgte Musiker im Nationalsozialismus gezeigt – zwischen Drehtür und Kantine einer Innenstadtpassage

Der Stachel saß schon lange vor 1933. Traditionalisten, Kulturkonservative und Nationalisten wetterten schon in Weimarer Jahren gegen „Kulturschänder“, „Moralvergifter“ und avantgardistische Tendenzen in Konzerthallen und Opernhäusern. Kunst im Allgemeinen hatte konform und repräsentativ zu sein, Musik im Speziellen funktionierte als Stimmungsmacher, Massensuggestion, zur Übertönung des Terrors. Und sie sollte vor allem eines: „deutsch“ klingen.

Aber was war, was ist „deutsche“ Musik? „Das Gegenteil von Schönberg“, antwortete 1994 der österreichische Komponist Gottfried von Einem – „Musik in C-Dur“. Doch Stimmung gemacht wurde nicht nur gegen jede moderne Strömung, wie die Zwölftonmusik oder den Jazz, die „Musik der Kannibalen“ (Richard Strauss). Die Nazis hetzten auch gegen die Oper. Stand sie in der Kaiserzeit noch für das Schöne und Gute, verlor sie in den Weimarer Jahren immer mehr von ihrem affirmativen Charakter. Das NSDAP-Organ Völkischer Beobachter meinte ab Mitte der 20er Jahre neben kritischen Tendenzen in der Oper auch eine zunehmende „Verjudung“ der Bühnen auszumachen. Diese „Entartung“, die für den „Nigger-Jazz“ genauso galt wie für Opernwerke jüdischer Komponisten, wurde unter dem Kampfbegriff „Musikbolschewismus“ gefasst. Die Ausstellung „Entartete Musik“ sollte den Deutschen den Begriff 1938 noch näher bringen: Auf dem Plakat war ein schwarzer Saxophonist mit einem Davidstern im Knopfloch zu sehen, der die „rassische Verwandtschaft“ zwischen den „Wüstenvölkern“ der „Juden und Neger“ aufzeigen sollte.

Die Folie für diese Figur des Saxophonspielers entstammte Ernst Kreneks Oper „Jonny spielt auf“, die den Nazis exemplarisch für den Beginn und Inbegriff einer jüdisch-negroiden Epoche galt. Vor allem die Tatsache, dass Jonny als Afroamerikaner die europäische Musikkultur erobern wollte, war mit der Nazi-Ideologie nicht vereinbar. Nach der Gründung der Reichsmusikkammer und schärferen Gesetzen gegen jüdische Künstler und „Kulturzersetzer“ flüchtete Komponist Krenek 1938 in die USA.

In der Ausstellung „Verstummte Stimmen“ wird neben Krenek weiteren jüdischen Komponisten, Sängern oder Dirigenten wie Paul Hindemith, Kurt Weill oder Fritzi Jokl Tribut gezollt. Wieso dafür ausgerechnet das laute und hektische Hamburger Abendblatt-Center in der Hamburger City ausgewählt wurde, ist wohl das Geheimnis der Kuratoren. Zwischen Tür und Angel, neben Kartenvorverkaufsstelle und Kantine kann man auf wenigen Stellwänden die Biographien und Schicksale „verstummter Stimmen“ nachlesen. Hamburgs Staatsoper, in der die Ausstellung ebenfalls zu sehen ist, scheint der passendere Ort zu sein. ANDREAS BOCK

bis 30. 11. Mo–Sa im „Abendblatt“-Center, Eintritt frei. In der Staatsoper jeweils zwei Stunden vor Vorstellungsbeginn – auch ohne Opern-Eintrittskarte