: Zwischen Pöbeleien und Protesten
Die nordkoreanische Minderheit in Japan sieht sich nach dem Atomwaffentest des kommunistischen Staates zunehmenden Anfeindungen ausgesetzt. Kritik am Regime in der Heimat wird nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit geäußert
AUS TOKIO MARIO KAUFFMANN
Ein bizarres Briefpingpong war vergangene Woche vor den Toren der „Vereinigung koreanischer Bürger in Japan“ (Chongryun) in Tokio zu beobachten. Chongryun-Mitglieder bekennen sich zum kommunistischen Nordkorea. Vor dem Tor ihres Büros hatten sich zwei Dutzend Demonstranten aufgebaut, die versuchten, dem Wächter ein Protestschreiben gegen Nordkoreas Atomwaffentest zu übergeben. Doch der wollte den Brief nicht entgegennehmen. So schoben die Demonstranten das Kuvert unter dem Gitter durch – doch ein Nordkoreaner warf den Umschlag zurück. Die Demonstranten ließen sich nicht entmutigen und warfen den Brief nochmals über den Zaun. Auch der dritte Versuch scheiterte. Nordkorea und Japan unterhalten keine diplomatischen Beziehungen. Daher wird die Chongryun-Zentrale in Tokio als eine Art Ersatzbotschaft Nordkoreas betrachtet. Die unerwünschten Briefträger gehörten zur „Union der Koreaner“ (Mindan), ihre Mitglieder solidarisieren sich mit Südkorea.
Mehr als 600.000 Koreaner leben in Japan. Viele stammen aus Familien, die während der japanischen Okkupation Koreas zwischen 1905 und 1945 als Zwangsarbeiter verschleppt wurden. So wie die koreanische Halbinsel geteilt ist, ist es auch die koreanische Bevölkerung in Japan. Zwischen 80.000 und 100.000 bekennen sich zum Norden, etwa 300.000 zum Süden. Beide unterhalten eigene Schulen und Gemeindezentren. Ebenso wie die beiden Koreas in den letzten Jahren unter dem Banner der „Sonnenscheinpolitik“ entspannter miteinander umgingen, war bei den entsprechenden Verbänden der Auslandskoreaner eine Annäherung zu verzeichnen. Doch nach Nordkoreas Raketentest im Juli und dem Atombombenversuch von Anfang Oktober ist von einem „Sich-näher-Kommen“ von Chongryun- und Mindan-Vertretern nichts mehr zu spüren.
Auch manche Japaner nutzen den Postweg, um ihrer Wut über die neue atomare Bedrohung aus Nordkorea Luft zu machen. Ein Rechtsextremer schnitt sich einen Finger ab und schickte das makabre Paket an den Präsidenten der nordkoreanischen Vereinigung. „Wenn Ihnen die Sicherheit der Kinder wichtig ist, schließen Sie besser die Schule“, drohte ein anonymer Anrufer einer nordkoreanischen Grundschule. Schülerinnen trauten sich inzwischen nicht mehr, ihre Uniformen zu tragen, heißt es von Lehrern nordkoreanischer Schulen. Die steifen blauen Faltenröcke würden sofort verraten, zu welcher Schule ihre Trägerinnen gehörten. Rechtsextreme verschafften sich vor den Schulen auch mit Lautsprechern Gehör und brüllten: „Haut ab – zurück nach Nordkorea!“
Im Vergleich zu Tokio blieb es in der japanischen Hafenstadt Niigata diesmal ruhig. Die dort lebenden Nordkoreaner hatten nach dem Atomwaffentest von Anfang Oktober besondere Angst vor den Reaktionen. 2002 hatte Nordkorea eingestanden, in den 70er-Jahren ein Dutzend Japaner als Lehrpersonal für Spione gekidnappt zu haben. Fünf Gefangene und deren Kinder ließ Nordkoreas Diktator schließlich gen Japan ziehen. Die anderen Entführten seien verstorben, behauptet das kommunistische Regime, was in Japan niemand glauben mag und die Bevölkerung aufwühlt. An der Küste von Niigata waren mehrere der Entführten einst verschleppt worden. Und so entlud sich der Zorn der Japaner an den in Niigata lebenden Nordkoreanern. Das dortige nordkoreanische Zentrum wurde beschossen und musste rund um die Uhr von der Polizei geschützt werden. Bis Japan im Juli auf einen nordkoreanischen Raketentest mit Handelssanktionen reagierte, war Niigata auch Start und Ziel der nordkoreanischen Fähre „Mangjongbong“. Die Urenkel ehemaliger Zwangsarbeiter machten Klassenausflüge nach Pjöngjang, ihre Eltern besuchten Verwandte. Im Gepäck: DVD-Player, Waschmaschinen und viel Bargeld für die verarmten Angehörigen. Nicht nur Spirituosen und edles Seegetier für den Feinschmecker-Diktator in Pjöngjang sollen diesen Seeweg genommen haben. Viele Koreaner handelten mit Konsumgütern, die in Japan auf der Müllhalde gelandet wären: lottrige Fahrräder, rostige Kühlschränke etc.
Die Mitglieder der Nordkorea-freundlichen Chongryun hüten sich vor öffentlicher Kritik am Regime. Doch anonym äußern einige ihren Unmut: „Wir Nordkoreaner schämen uns dafür, was die Regierung unseres Heimatlandes angerichtet hat“, sagt ein 49-Jähriger. Wegen seiner Verwandten in Nordkorea habe er jedoch keine andere Wahl, als dem straff organisierten Chongryun-Verband die Treue zu halten. Diese Loyalität wurde in den 70ern zementiert, als es Nordkorea mit sowjetischer Unterstützung zu relativem Wohlstand gebracht hatte. Damals zeigte sich Staatsgründer Kim Il Sung großzügig gegenüber den Landsleuten im japanischen Feindesland. Er spendete Schulen, schenkte Kulturgüter und Subventionen aller Art. Die Empfänger, viele inzwischen im Rentneralter, danken es noch immer.
Für die dritte und vierte Generation der ehemals Zwangsdeportierten sind das jedoch Geschichten aus der Vergangenheit. Sie sind hin- und hergerissen zwischen der neuen Heimat Japan, wo sie oft angefeindet werden, und einem Herkunftsland, mit dem sie nur noch wenig verbindet.
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