ORTSTERMIN: IMMANUEL KANT IM OSTPREUSSENMUSEUM
: Aufklärung unter Elchen

Viele Elche – auf Bildern, in Dioramen, in Texten. Auch als Lorenz Grimoni unter dem Titel „Kant für Anfänger“ über „den Philosophen Immanuel Kant, den großen Königsberger“ spricht, wachen rechts ein Elch und links eine Elchkuh – bildlich eingefangen in der Elchniederung, einem Landstrich nordöstlich von Königsberg.

Elche auch in der Ausstellung – und viel Bernstein: Ketten, Broschen, Aschenbecher. Und E.T.A. Hoffmann, Hannah Arendt, Kopernikus, Siegfried Lenz und Arno Holz. Prominent auch Agnes Miegel, die schrieb: „Laß in deine Hand, Führer, uns vor aller Welt bekennen; Du und wir, nie mehr zu trennen stehen ein für unser deutsches Land.“

Ostpreußisches Landesmuseum, Lüneburg. Die Ausstellung muss renoviert werden. Nicht nur was Miegel anbelangt, sondern auch Sätze wie diesen: „Mit dem Angriff auf Polen entfesselte Hitler den Zweiten Weltkrieg“. „Lyrik der 80er Jahre“, sagt Museumsdirektor Joachim Mähnert, der weiß, dass „hier manches überarbeitungsbedürftig ist“. Zum Beispiel die Darstellung der Weimarer Republik: „Das Ansteigen des Radikalismus von rechts und links, die Misserfolge der Reichsregierung gegen Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit, führten zur Staatskrise und 1933 zum Zusammenbruch der Weimarer Republik.“

Indiskutabel ist, was sich hier zum Holocaust findet: „Die Juden wurden aus ihren Berufen und dem öffentlichen Leben vertrieben und ihre Geschäfte boykottiert. Wem die Auswanderung nicht rechtzeitig gelang, der wurde ab ca. 1940 nach Riga und Theresienstadt abtransportiert.“ Und was war dann – in Riga und Theresienstadt?

2013 wird das Museum, das zu 70 Prozent der Bund und zu 30 Prozent das Land Niedersachsen finanziert, neu eröffnet. Dann werde man, kündigt Mähnert an, nicht mehr die Vertreibung der Deutschen so in den Vordergrund stellen, sondern deren Integration in die Bundesrepublik.

Mähnerts Weg zum Museumsdirektor war holprig. 2008 annullierte der Bund nach „Verfahrensfehlern“ seine Wahl. Die Stelle wurde erneut ausgeschrieben – und erneut fiel die Wahl auf Mähnert. Sein Vorgänger, Ronny Kabus, war Ende 2004 fristlos entlassen worden: „Illoyalität“ hatte ihm die Ostpreußische Kulturstiftung vorgeworfen, Trägerin das Museums. In ihrem Vorstand sitzen Vertreter von Vertriebenenorganisationen, also der „Landsmannschaften“, und der Verein des ostpreußischen Jagdmuseums. Bund und Land haben weder Einfluss noch Stimmrecht. Wie nun Mähnert wollte auch Kabus ein modernes Museum – offenbar nicht alle Vertriebenen wollen das auch.

Kant-Referent Lorenz Grimoni, Jahrgang 1939, leitet seit 1987 das Museum „Stadt Königsberg“ in Duisburg, das nach eigenen Angaben die „umfangreichste Kant-Sammlung“ der Welt vorhält. In Lüneburg nun will der Pastor Grimoni den alten Skeptiker heimholen in die Theologie. Das wird seit 200 Jahren versucht – auch Grimoni scheitert.

Er erzählt viel von Königsberg und Kants Biographie: Kind armer Eltern, Mutter stirbt früh, Onkel zahlt die Schule und stiftet Brennholz. Immanuel macht mit 16 Abitur, verdient Geld mit Kartenspiel, Billard und Nachhilfe, muss lange warten, um Professor zu werden.

Was aber hat denn nun die Welt nicht nur der Philosophie erschüttert? Grimoni sagt es nicht. Kant, Befürworter der französischen Revolution, erklärte in der „Kritik der reinen Vernunft“, was wir als Menschen sicher wissen können. Was von Dogma und Glauben zu halten ist und was von Tradition. Und wie wir es anstellen müssen, damit etwas sicheres Wissen ist, im Bewusstsein, dass die Aufklärung des Menschen vor nichts stehen bleibt. Nicht mal vor Kant. ROGER REPPLINGER