Mit Bode an der Bude

NÄHRWERTE Thilo Bode, der Schrecken der Nahrungsmittelindustrie, versucht sich an einer Currywurst. Und träumt von der Konsumentenrevolte

1Man soll nichts essen, was die eigene Großmutter nicht als Essen erkannt hätte.

2Man soll Früchte am besten so verspeisen, wie man sie in der Natur vorfindet.

3Man soll nichts kaufen, was insgesamt mehr als fünf Inhaltsstoffe hat.

4Man soll kein Produkt mit Stoffen kaufen, die ein normaler Mensch nicht im Schrank hat.

5Man soll nichts essen, das man eigentlich gar nicht richtig aussprechen kann.

VON KIRSTEN KÜPPERS

Thilo Bode steht schlecht gelaunt an der berühmtesten Wurstbude Berlins – bei „Konnopke“, im Bezirk Prenzlauer Berg. Es ist Mittag. Menschen kommen von weit her, um hier Currywurst zu essen. Sie drücken sich unter die roten Schultheiss-Schirme, gegen das dunkle Wetter haben die Konnopkes Lichterketten aufgehängt. Dicker Fettgeruch hüllt die Essenden ein, die Würste sind heiß. Aber Thilo Bode, weiße Haare, Seitenscheitel, Hornbrille, breitschultrig, 63 Jahre alt und oberster Verbraucherschützer Deutschlands, lässt sich von dem Ambiente nicht aufmuntern. Er stochert im Ketchup auf seinem Pappteller, dann zeigt er mit der Plastikgabel auf die Tafel, die an der Bude hängt.

Auf der Tafel steht, dass Konnopkes Currywürste Phosphat und Konservierungsstoffe enthalten. Der Hinweis ist leicht zu übersehen: klein geschrieben und am unteren Rand versteckt. Aber Bode sieht ihn: „In eine gute Wurst gehört das nicht rein.“

Thilo Bode ist Chef der Verbraucherschutzorganisation „Foodwatch“. Vor Kurzem hat er ein Buch geschrieben über Essen, das voller Stoffe ist, die wir nicht brauchen. Dort steht, wie die Nahrungsmittelkonzerne die Menschen hinters Licht führen. Wie sie Frühstücksflocken aus Zucker als gesund anpreisen, wie sie Schwarzwälder Schinken in Wahrheit aus den Opfern dänischer Schweinemastbetriebe fabrizieren, wie sie Apfelsaft, der nie einen Apfel gesehen hat, zu „bio“ erklären. Es ist ein spannendes, aufklärerisches Buch. Alle im Land sollten es lesen.

Konsumterror

Thilo Bode kaut schnell. Er sagt: „Ich bin Genussmensch!“, und schlingt die Currywurst dabei runter. Vielleicht ist es auch wegen des Nieselregens: Bode will, dass der Termin an der Wurstbude schnell vorbei ist. Aber er will auch kein Spielverderber sein. Er sagt, dass man die Zusatzstoffe im Fleisch nicht schmecken könne. Und überhaupt, er sei kein Ernährungsberater. Ihn treibt die Sehnsucht an: „Ich vermisse die Tomaten aus dem Garten meiner Oma. Die hatten noch Aroma.“

Früher war Thilo Bode Chef von Greenpeace. Er ist im Schlauchboot durchs offene Meer gefahren und hat die Versenkung der Ölplattform Brentspar verhindert. Er hat auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking gegen Atomwaffentests demonstriert und wurde festgenommen. Jetzt beschäftigt er sich mit den Etiketten von abgepackter Wurst und den Zutaten von Dosensuppen. Nicht jeder sieht das als Fortschritt.

Wahrscheinlich ist es mit 63 bequemer, die Abenteuer den jungen Kerlen zu überlassen. Aber man soll sich nicht täuschen: Bode mag mit einer Currywurst an einer schmutzigen Berliner Straßenkreuzung stehen, die Welt hat er trotzdem im Blick: „Ernährung ist ein zentrales Problem der Menschheit“, sagt er. „Natürlich würde ich lieber über die Preise von Rohstoffen an den internationalen Börsen sprechen. Aber wir sind ja noch ganz am Anfang.“

Ein Anfang, der nicht gut aussieht. Thilo Bode ist durch Supermärkte gelaufen, durch Discounter und Bioläden; er hat festgestellt: Die Verbraucher lassen sich bei Lebensmitteln schlechte Qualität andrehen. So schlechte, wie sie sie sich bei einem Mobiltelefon oder einem Autos niemals bieten ließen. Die Industrie packt Zucker und Fett in Kinderessen, sie klebt Fleischteile zusammen und nennt das Schinken, sie mischt Rindfleisch in den Heringssalat, sie schreibt „Bio“ auf die Verpackungen künstlicher Fertignahrung.

Konsumkritik

Bode rattert die Beispiele herunter. Er schimpft viel auf die Nahrungsmittelindustrie. Aber er hat auch Volkswirtschaft studiert und versteht was von Ökonomie. Er sagt, dass die Lebensmittelkonzerne getrieben sind von ihren Wachstumskurven. Die Kurven müssen nach oben gehen. Damit das funktioniert, nutzen die Konzerne jeden Spielraum. Bei allem aber bleibt Bode auch Weltmann: Wenn er in einer Talkshow den Chef einer Schinkenfabrik angreift, geht er hinterher mit ihm ein Bier trinken.

Bode ist die Regierung zu industriefreundlich. „Es wird Zeit, dass die Politik der Industrie ihre Grenzen aufzeigt.“ Jeder Kunde solle sofort erkennen können, was in einem Lebensmittel drinsteckt, woher es kommt. „Gäbe es die verbraucherfreundliche Regel, dass ein Lebensmittel mit Herkunftsbezeichnung auch aus der genannten Region stammen muss, gäbe es weniger Schwarzwälder Schinken auf der Welt“, erklärt er.

Bode ist ins Reden gekommen, die Laune ist besser jetzt, er schaut sich um an der Bude. Ein paar Männer, Frauen und Kinder stehen still im Regen und kauen. „Die Bürger müssen sich organisieren.“ Er hat ja erlebt, was die Umweltbewegung schon erreicht hat: Die Industrie hat giftige Abwässer in die Flüsse geleitet, und erst als die Menschen so lange protestierten, bis die Politiker mit Verboten kamen, hat sich die Lage geändert.

Der Himmel hängt grau und flach über der Stadt, die türkisfarbene Fleecejacke von Thilo Bode leuchtet. Man braucht ein stabiles Selbstbewusstsein, um so eine Jacke zu tragen. Tatsächlich haben er und seine Mitarbeiter eine Menge erreicht. Wegen Foodwatch-Kampagnen musste McDonald’s eine millionenschwere Werbekampagne stoppen. Die Bierfirma Carlsberg hat ihren „Beo“-Wellnessdrink vom Markt genommen. Der Saftfabrikant Granini hat die Rezeptur einer Kinderlimonade geändert.

Foodwatch lebt von Mitgliedsbeiträgen und Spenden, 17.000 Förderer hat der Verein inzwischen. In Brüssel hat die Organisation einen Schreibtisch stehen. „Natürlich ist es das Ziel, auf die europäische Gesetzgebung Einfluss zu nehmen“, meint Bode.

Konsumverzicht

Die Schlange vor der Imbissbude zieht sich hin bis zur Straße. Alles Menschen, die Würste bestellen wollen – auch mit Phosphat und Konservierungsstoffen. Konnopke ist nicht die Welt. Es ist nur ein Imbiss an einer Straßenkreuzung, aber nichts deutet hier darauf hin, dass Thilo Bode recht hat. Nichts sieht hier nach einer Konsumentenbewegung für besseres Essen aus.

Trotzdem, es gibt sie, die Zeichen, die in eine andere Richtung weisen. Bald etwa in Berlin: Dort wird nächsten Sommer ein Smiley-System für Lebensmittelbetriebe eingeführt. Kunden könnten dann an einem Aufkleber an der Fensterscheibe erkennen, wie der Betrieb bei den letzten Hygienekontrollen abgeschnitten hat.

Und demnächst passiert etwas im Internet: CSU-Verbraucherministerin Ilse Aigner hat verkündet, dass sie eine Plattform schaffen will, auf der trügerische Lebensmittel aufgelistet werden. Natürlich ist das keine Revolution. Foodwatch führt schon seit Jahren so eine Liste. Bode hält die Idee der Ministerin trotzdem für ein gutes Signal. Die Nahrungsmittelindustrie hat schon Klagen dagegen angedroht.

Thilo Bode spürt, dass viele keine Lust mehr haben auf fragwürdige Produkte. Er spießt seine letzten Pommes auf und lacht. Es könnte wieder ein bisschen Abenteuer geben. Wahrscheinlich kein schlechtes Gefühl.