Erfrischer Fischer

Zuerst hat er Weltpolitik gemacht, jetzt erklärt – und verklärt – er sie: Joschka Fischer hält seine Antrittsvorlesung in Princeton. Über eine gut unterhaltende Unterhaltung mit dem Exaußenminister

AUS PRINCETON LIA PETRIDIS

Joschka Fischer lehrt jetzt: Internationale Diplomatie an der Woodrow Wilson School (Woody Woo), Schule für öffentliche und internationale Angelegenheiten an der Universität Princeton. Grundlegende neue Erkenntnisse lieferte seine öffentliche Antrittsvorlesung nicht. Kantig ist Fischer immer noch, die Ecken jedoch leicht geschliffen.

Auf dem Campus der Universität Princeton in New Jersey senkt man unweigerlich die Stimme. Neogothisch die Gebäude, kurz der Rasen, elitär der Weltruf, schön die Studenten – ein eleganter Schonraum für interkulturelle Heimeligkeit (Ja, es werden sogar schwarze Studenten gesichtet, wenn auch nicht viele).

Princeton ist die neue Wirkungsstätte des alten Außenministers Joschka Fischer. Der scheint seine notorisch zur Schau gestellten Sorgenfalten gegen ein mildes Lächeln eingetauscht zu haben. Und bei aller berechtigten Skepsis und Schelte, die Fischer über die Jahre einsteckte, wurde einem doch bewusst, warum es okay ist, ihn dann und wann zu mögen.

Weil sich in diesen Tagen endgültig bestätigt, dass er mit seinen Warnungen und seiner Skepsis gegenüber einem Krieg im Irak Recht behalten sollte. Sein damaliges „Ich bin nicht überzeugt“ auf der 39. Konferenz für Sicherheitspolitik in München im Februar 2003, adressiert an den amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, klingelt jedem wieder in den Ohren und ohne großes Triumphgeheul, aber mit einem kleinen Lächeln erklärt Fischer während seiner Vorlesung einmal mehr, dass echte Freundschaft nur kritische Zusammenarbeit bedeuten kann: „Multilateralismus“, also kooperative Diplomatie zwischen Staaten statt amerikanischem Alleingang.

Eine Handlungsmaxime, die er im November 2003 schon mal in Princeton beschwor. Und die Fischer auch in seinem 2005 erschienenen Buch „Die Rückkehr der Geschichte“ eingehend erläutert. „Es gab keinen ersichtlichen Grund damals, diesen Krieg zu beginnen“, sagt Fischer langsam und sehr bedacht und hat dabei seinen angestrengt dreinblickenden Tischnachbarn Robert P. Finn, den früheren US-Botschafter in Afghanistan, im Auge. „Blix war im Irak. Sollten Massenvernichtungswaffen existieren, hätte Blix sie gefunden. Warum sollten wir diesen Prozess stoppen?“

Weltgeschichte schreiben, Weltgeschicke lenken. Das ist Fischers Ding. Alles andere ist ihm zu banal. Deshalb nennt er seine Antrittsvorlesung auch „Eine Unterhaltung mit Joschka Fischer.“ So liest es sich auf der Webseite der Woodrow Wilson School. Und dafür bekommt er den „Weil-ich-der-Fischer-bin-und-ich-es-kann-Anerkennungsbonus“. Genau wie für die Tatsache, dass seine fünfte Ehefrau nur sieben Jahre älter ist als seine Tochter, dass er ohne Abitur die Weltelite unterrichtet, dass er als Emigrantenkind den Lothar Schulzes und Verena Schreiners gezeigt hat, was eine Harke ist, und in Zeiten der männlichen Totalaufgabe (1984) die Perspektiven zurechtrückte: „Mir gehen die Klemm-Chauvis auf den Sack, die da plötzlich in serviler Ergebenheit, jeden aufrechten Gang und sonst manches Aufrechte beiseite lassend, auf breiter Schleimspur der Frauenemanzipation hinterherkriechen.“

Zwei Tage vorher lautet der Titel der Vorlesung plötzlich: „Die Zukunft der transatlantischen Gemeinde – ist der Westen immer noch ein praktikables Konzept?“ Fischers kurze Antwort: „Ja. Zu meinen Bedingungen.“ Dann erläutert der Exaußenminister, wie er sich den Westen vorstellt. Und sehr schnell wird klar, dass der Kern des Westens für ihn Europa ist, Westeuropa. Friedlich, ausgeglichen, florierend, vereint als gleichberechtigter Partner der USA, mit dem Willen zur Integration, aber zu westeuropäischen Bedingungen.

Die Türkei wollen wir natürlich auch dabei haben, aber anpassen sollten die sich schon. Denn im heutigen Europa sei kein Platz für zwei Ideologien, das habe der Krieg auf dem Balkan bestätigt. Und: „Alle Menschen haben die gleichen Träume: Ein schönes Auto, eine gute Ausbildung und eine schöne Wohnung.“ Weil Globalisierung nämlich bedeutet: Fortschritt bei gleichzeitiger Öffnung der Märkte und dem Schaffen von Arbeitsplätzen für alle, überall. Fischers Erwartungen an die USA: „Sie müssen verstehen, dass wahre Stärke aus Weisheit, Koalitionen und Moral besteht. Die Wiederherstellung der Moral ist jetzt eine der größten Herausforderungen.“

Zu simpel? Vielleicht. Alles schon mal gesagt? Auch. Aber weil Fischer so sehr im Reinen mit sich ist, wird die anderthalbstündige „Konversation“ mit ihm zu einem kurzweiligen Spektakel, dem einzig öffentlichen in diesem Gastjahr in Princeton wohlgemerkt, das seine Wirkung keinesfalls verfehlte.