Irak, übernehmen Sie!

Die US-Armee will die Verantwortung für die Sicherheit in 18 Monaten abgeben. Eine neue Strategie ist das nicht

Die USA schrauben ihre Erwartungen an die Regierung in Bagdad zurück

SULEIMANIA taz ■ Zwei Wochen vor den Wahlen in den USA hat der Wahlkampf gestern auch Bagdad erreicht. Unter dem Eindruck der hitzig geführten Debatte über die immer weiter eskalierende Gewalt im Irak haben der US-Botschafter in Bagdad, Zalmay Khalilzad, und der US-Oberkommandierende George Casey versucht, den Eindruck der völligen Hoffnungslosigkeit vom Tisch zu wischen. In einem seltenen gemeinsamen Presseauftritt in Bagdad skizzierten Khalilzad und Casey die Eckpunkte eines Plans für die kommenden 12 bis 18 Monate. Dabei wurde deutlich, dass man auf Seiten der Amerikaner die Erwartungen an die Regierung von Ministerpräsident Nuri al-Maliki deutlich zurückgeschraubt hat.

Washington habe das Ziel, einen multiethnischen, demokratischen Irak zu schaffen, nicht aufgeben, sagte Khalilzad. Dazu seien jedoch entscheidende Schritte seitens der Maliki-Regierung nötig. Ganz oben auf der Liste nannte Khalilzad die Auflösung der Milizen und die Reorganisation der Sicherheitsressorts. Maliki hat sich in diesem Punkt in den letzten Wochen widersprüchlich geäußert. So kündigte er kürzlich mit Blick auf die schiitischen Kampfverbände an, dass die Auflösung der Milizen frühestens Ende des Jahres in Angriff genommen werden könne. Angesichts des Unmuts der Amerikaner und Briten über seine Amtsführung stellte Maliki am Montag ein zügigeres Vorgehen in Aussicht. Die Krux ist freilich, dass Maliki ohne Zustimmung von deren Chefs die Hände gebunden sind, da diese mit in der Regierung sitzen.

Darüber hinaus nannte Khalilzad die Ausarbeitung des Gesetzes über die Öleinkünfte und eine Überarbeitung der Verfassung – vor allen die geplante Dezentralisierung – als wichtigste Meilensteine, die die Regierung im kommenden Jahr erreichen solle. Am Ende des Prozesses soll nach 12 Monaten ein neuer „Nationalpakt“, also ein Gesellschaftsvertrag zwischen den Schiiten, Sunniten und Kurden stehen.

In dieser Zeit soll die Verantwortung für die Sicherheitslage an die Iraker übergeben werden. Die irakischen Sicherheitskräfte könnten bis in 18 Monaten fähig sein, mit geringer Unterstützung der multinationalen Truppen die Verantwortung für die Sicherheit im Land zu tragen, sagte General Casey. Seine Charakterisierung der Gewalt im Irak ließ diese Einschätzung freilich als ziemlich optimistisch erscheinen. Abgesehen von der terroristischen al-Qaida räumte Casey erstmals ein, dass ein Kampf um die wirtschaftliche und politische Macht im Irak im Gang ist. Im Klartext heißt das freilich nichts anderes als Bürgerkrieg.

Dabei wurde im Ramadan auf Seiten der Amerikaner wie der Iraker einen neuer tragischer Rekordstand an Toten erreicht. 300 irakische Sicherheitskräfte fielen laut Casey der Gewalt zum Opfer, die Amerikaner verloren im Oktober 90 Soldaten, in der gleichen Zeit wurden mindestens 950 Zivilisten getötet. Sollte sich die Lage bessern, sei ein Truppenabzug möglich, sagte Casey. Gegebenenfalls würde er aber auch mehr Truppen anfordern. Nach einer radikalen Wende in der US-Strategie, wie in US-Medien spekuliert wurde, klang das nicht. INGA ROGG