US-Frauen vor dem Durchbruch

Experten prognostizieren Politikerinnen bei den Kongresswahlen ein gutes Abschneiden. In ärmeren Bundesstaaten haben sie nach wie vor geringe Chancen

Politikerinnen werden oft als liberaler eingeschätzt, als sie eigentlich sind

WASHINGTON taz ■ „Ich dachte, es würde bis heute längst geklappt haben“, sagte eine immer noch dynamische Geraldine Ferraro kürzlich vor einem vollen Audimax an der Universität von Virginia. Ferraro, eine Demokratin, schrieb im Jahr 1984 Geschichte, als sie zusammen mit Walter Mondale um das Amt im Weißen Haus kämpfte. Beide scheiterten. Aber seit 22 Jahren hat es in den USA keine Frau mehr zu einer ernst zu nehmenden Kandidatur um das politische Spitzenamt gebracht.

2006 könnte alles besser werden. Es wird ein Durchbruch für die Frauen im US-Kongress, sind sich die Experten der University of Virgina sicher. Auch die Wahlbeobachter von Sabatos Crystal Ball, einem Internetdienst der den Wahlkampf in beiden Kongress-Häusern analysiert, sagt voraus, dass Politikerinnen seit 14 Jahren zum ersten Mal wieder gut abschneiden werden.

Die gläserne Decke zwischen dem Kongress und dem Weißen Haus werden Frauen in ihrer Lebenszeit nicht mehr durchbrechen, vertraute Ferraro einem Journalisten an, bevor sie zum Rednerpult ging. Aber sie war gekommen um eine neue Generation von Frauen zu ermuntern, den Kampf um Sessel und Einfluss weiter zu führen. „Sie können die Zukunft für ihre Töchter und Enkelinnen nur besser machen, wenn sie sich politisch engagieren“, sagte Ferraro.

Die Veranstaltung richtete sich in erster Linie an junge Studentinnen, denen der Fakultätsdirektor Larry Sabato versprochen hatte, dass er ihnen eine Vorkämpferin für die Vereinigten Staaten vorstellen wolle. „Es wird nicht leicht, aber es ist nicht unmöglich“, sagte ihnen Ferraro.

Nach vorsichtigen Schätzungen könnten mindestens neun weitere Sitze im Repräsentantenhaus an Frauen gehen. Das wäre nach dem „US-Jahr der Frauen“ 1992, in dem sich die Zahl der Politikerinnen sprunghaft von 32 auf 54 erhöhte, erstmals wieder ein vorzeigbarer Erfolg. Im gegenwärtigen Kongress sind nur 81 der Mandate beziehungsweise 15 Prozent der Sitze an Frauen gegangen.

Erfolgreich könnten so illustre Newcomerinnen sein wie die Demokratinnen Tammy Duckworth (Illinois), eine Irakkriegsveteranin, die im Kampf beide Beine verloren hat. Und Coleen Rowley (Minnesota), FBI-Beamtin, die wegen der Versäumnisse um den 11. September 2001 herum später gegen das FBI vor Gericht aussagte. Beide mit klarer Kritik am Irakkrieg.

Distrikte, die mit großer Wahrscheinlichkeit mehrheitlich für Frauen stimmen werden, sind, wenig überraschend, New York, San Francisco und Los Angeles. Am wenigsten Chancen haben Frauen in den landwirtschaftlich geprägten, ärmeren und einkommensschwächeren US-Bundesstaaten, so fassten die Autoren Dennis Simon und Barbara Palmer in ihrer Studie „Die gläserne Decke in der Politik durchbrechen“ das US-Wahlverhalten zusammen. Simon gibt an, dass Politikerinnen oft als liberaler eingeschätzt werden, als sie eigentlich sind, wie das Beispiel von Senatorin Hillary Rodham Clinton zeige. Was wiederum ihre Chancen in Amerikas entscheidendem Hinterland schmälere. Spekulationen über Clintons Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2008 sowie die Gerüchte, Außenministerin Condoleezza Rice könnte sie herausfordern, haben die Wahrnehmung in dieser Hinsicht deutlich positiv für die Plausibilität von Politikerinnen verändert, meint Simon.

Spätestens mit Condi Rice und Madeleine Albright in politischen Spitzenämtern sei es ein Stück weit „normal“ geworden, US-Frauen in Topjobs zu sehen, sagt auch Marie Wilson. Sie ist Präsidentin und Gründerin des White House Projects. Die Organisation hat es sich zum Ziel gemacht, Frauen fit für höchste Führungsrollen zu machen. Wilson ist besorgt darüber, dass die USA im Laufe der Jahre in der Politikerinnenstatistik immer weiter zurückgefallen sind.

Neuerdings rangieren die Vereinigten Staaten nur noch an 68. Stelle, hinter Staaten wie Südafrika, Großbritannien und den skandinavischen Staaten. „Wir brauchen frisches Blut“, warb denn auch Geraldine Ferraro bei den jungen Frauen. „Wenn es je eine Zeit in diesem Land gegeben hat, in der unsere Nation und die Welt neue Stimmen, neue Herangehensweisen, neue Werte und neue Sensibilitäten gebraucht haben, dann ist es heute.“

ADRIENNE WOLTERSDORF