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MARTIN REICHERT über LANDMÄNNERWo the fuck bleibt Alice?

Ohne einen DSL-Anschluss haben die Gayromeos in Brandenburg ein Problem: Sie können nicht zueinander finden

Wir hätten sie gerne bei uns empfangen, aber Alice kann nicht kommen: Die auf sumpfigem Grund erbaute Ackerbürgerstadt ist nicht an das Breitbandnetz angeschlossen oder wie das heißt. Bedeutet: Nix DSL und WLAN – dabei dachte man immer, dass wenigstens die Infrastruktur im Osten auf dem neuesten Stand ist.

Ohne DSL allerdings ist es schwierig, im „schwulen Einwohnermeldeamt“ Gayromeo die nötige Präsenz zu zeigen – wer nicht permanent oder wenigstens dauerhaft bei diesem größten schwulen Internet-Portal Deutschlands online ist, existiert eigentlich gar nicht. Insbesondere in der flachen Provinz, in der homosexuelle Identitäten gerne auch mal autoerotisch im Badezimmer ausgelebt werden, während die Ehefrau nebenan in der Küche das Abendessen für die Familie zubereitet, bedeutet dies eine zusätzliche Erschwernis: selten online und dann auch noch ohne Gesicht. Die Profile (digitale Karteikarten) der Landbewohner sind überdurchschnittlich häufig ohne Fotos, die Jungs verschwinden einfach in der Anonymität des märkischen Sandes, von Kyritz an der Knatter betrachtet kann das nahe Berlin verdammt weit weg sein. Ohne Alice bleibt die Klemmschwester im Schrank. Unsere Meldeamt-Karteien sind nicht anonym, im Gegenteil: Im Profil meines Freundes ist sogar ein „Partnerprofil“ mit meinem Konterfei eingewoben. Manche Chat-Bekanntschaft meines Freundes hat schon angemerkt, dass man mein Grinsen auch als drohend empfinden könne – völlig zu Recht übrigens. Ansonsten sind unsere Profile harmlos, wegen uns hätte Gayromeo nicht nach Amsterdam umziehen müssen. Aufgrund der Verschärfung des Jugendschutzes in Deutschland hätte das Portal die vielfältigen „x-rated“ urologischen und proktologischen Nahaufnahmen in Zukunft nur noch nach persönlicher Inaugenscheinnahme des Users freigeben können. Da man also hierzulande die Jugend so sehr vor sich selbst schützen möchte, dass sie kaum noch zu sich finden kann, haben die Gayromeo-Betreiber ihre Server in Umzugskisten gepackt. Vom liberalen holländischen Exil aus geht es nun weiter wie gehabt, dafür können Mütter und Väter in Deutschland wieder ruhiger schlafen: In dem Gefühl, wenigstens etwas getan zu haben gegen all den Schmutz & Schund.

Für die schwulen Landbewohner, insbesondere die jüngeren, ist das Internet hingegen kein Fundus des Grauens, sondern ein wahrer Segen: Glaubten früher die meisten Landei-Homos, dass sie die einzigen in der weiten Welt (also des Landkreises) seien, können sie sich heute ganz einfach vom Gegenteil überzeugen, und vor allem: miteinander in Kontakt kommen. Ganz egal, ob sie Informationen theoretischer oder praktischer Natur sammeln möchten. Früher wären sie auf die spärlichen Informationen von Dr. Sommer angewiesen gewesen – oder auf eine heimliche Radtour zur nächs- ten Autobahnraststätte. Finster. Sogar von jenseits der Oder melden sich junge Polen in gebrochenem Deutsch oder Englisch, die im Lande der Kaczyńskis keine Luft zum Atmen finden. Im Vergleich ist das nahe Brandenburg total Holland, digital zumindest: „Bitte einladen!“ fleht ein junger Mann aus Kostryn. Ein anderer Jungmann aus der Ostprignitz fühlt sich „noch unentschieden“ und möchte bloß chatten, ein 19-Jähriger aus der Lausitz sucht den Partner fürs Leben. Wer sagt denn auch, dass man diesen nur in der Oper kennenlernen kann?

Das Internet ermöglicht so viele Freiheiten, am Ende werden sich sowohl chinesische Parteikader als auch engagierte Jugendschützer die Zähne an seinen Möglichkeiten ausbeißen. Schlimmer als die Verbissenheit mancher Porno-Jäger ist nur noch die verklemmte Sprachlosigkeit im Umgang mit den inkriminierten Inhalten – aufklärende, offene Gespräche über das tatsächliche Verhältnis zwischen „Hengst“ und „Dreilochstute“ sind immer noch der beste Jugendschutz.

Und Alice kann uns mal gerne haben. Wir bekommen demnächst DSL über Satellit. Da spielt der kleine Umweg über die Niederlande gar keine Rolle mehr.

Fragen zu Alice? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH

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