Kein Blumentopf für Hartz IV

GEWERKSCHAFT Auf einer Ver.di-Landeskonferenz beklagen Arbeitslosenfunktionäre Einschnitte bei Sozialleistungen und fordern mehr Geld und mehr Qualifikation

VON CHRISTIAN JAKOB

Als der Gewerkschaftssekretär die neuen Berechnungen vorstellt, platzt einigen ZuhörerInnen der Kragen. Nicht nur für Tabak und Bier, auch für Zimmerpflanzen sind in den neuen Hartz-IV-Sätze keine Leistungen vorgesehen, ist auf seinen Präsentationsfolien zu lesen.

Für die Delegierten der Landeserwerbslosenkonferenz im DGB- Haus ist dies keine Neuigkeit. Trotzdem werden sie laut: „Das ist Betrug, da müssen wir vor Gericht“, ruft einer. Vorn geht es weiter: Auch für den Besuch von Imbissen oder die Anschaffung von Uhren gibt es künftig weniger. Empörung macht sich breit. „Wir sollen doch immer pünktlich und auf Zack sein! Und dann nimmt man uns die Uhren weg.“

Gute 11.000 Erwerbslose sind bei Ver.di in Niedersachsen organisiert, rund 3.000 in Bremen. 50 Delegierte kamen am Samstag zur norddeutschen Erwerbslosenkonferenz mit dem Titel „Gerecht geht anders“. Man redet sich mit „Kollegen“ an, an den Wänden hängen selbstgemalte Transparente. „5 Euro mehr, wir sagen nein“ steht etwa darauf.

„Unter den bei uns organisierten Erwerbslosen sind Akademiker und Ungelernte“, sagt Gisela Brandes-Steggewentz, beim Ver.di-Landesbezirk Bremen-Niedersachsen für die Erwerbslosenarbeit zuständig. Sie stelle bei der Arbeit „mit Erschrecken“ fest, dass immer mehr Menschen durch ihre lange Arbeitslosigkeit kaputt gemacht werden. „Die haben kein Selbstvertrauen mehr. Die Behörden weiten die Sanktionen aus, das beutelt die Leute, das ist menschenunwürdig.“

Wer dafür die Verantwortung trägt, daran besteht für die Erwerbslosen kein Zweifel: „Die FDP bestimmt die Sozialpolitik in Deutschland und ihr Ziel ist die Abschaffung des Sozialsystems“, ruft Marita Rosenow von der Ver.di-Landesleitung und erntet Beifall. „Der Niedriglohnsektor explodiert, Leiharbeit und Minijobs nehmen zu, wohin das führt sehen wir jeden Tag: Immer mehr Arme, immer reichere Reiche.“ Dies sei „Klientelpolitik pur“. Die Streichung des Elterngeldes zeige: „Kinder von Hartz-IV-Familien sind CDU und FDP weniger wert.“

Im letzten Jahr, erzürnt sich Rosenow, seien die Erwerbslosen unter dem Motto „Wir zahlen nicht für eure Krise“ auf die Straße gegangen. Heute würde man sehen: „Nur wir haben für die Krise gezahlt!“ Es gebe immer weitere Einschnitte für Arbeitslose, um „Anreize“ zu schaffen, Jobs anzunehmen. Das Publikum wird wieder unruhig. „Wo sind denn die Jobs für uns?“, murmeln einige. „Wenn keine Jobs da sind, kann auch der stärkste Druck daran nichts ändern. Man unterstellt, dass wir Drückeberger sind“, sagt Rosenow. Dabei sei klar: „Wir sind nicht die Faulenzer.“ So habe das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung festgestellt, dass die „Arbeitsmotivation von Hartz-IV-Empfängern überdurchschnittlich hoch“ sei, sagt Rosenow. „Und das müssen wir auch ganz laut sagen!“

Überhaupt glauben viele, die Leute hätten keine Ahnung, wie es sei, von Hartz IV zu leben. „Wir müssen uns immer anhören, wie gut es sich vom Staat leben lässt“, sagt einer. Rosenow hat einen Vorschlag: „32 Cent pro Schulweg“, so viel sehen die Sätze für Mobilität von Kindern vor – weit weniger, als Fahrkarten kosten. „Diese Zahlen sind es, die wir bekannt machen müssen, um den Bürgern klarzumachen, wie es wirklich für uns aussieht.“

Am Ende beschließen die Delegierten neun Forderungen. Die meisten richten sich an die Bundesregierung: Das Kindergeld solle nicht mehr als Einkommen angerechnet werden, Heizkosten müssten in tatsächlicher Höhe getragen werden, ein Rechtsanspruch auf Fort- und Weiterbildung müsse her. „Das entscheidet im Moment der Fallmanager nach Selbsteinschätzung“, klagt Brandes-Steggewentz.

Vor allem aber habe man sich für 2011 ein Projekt vorgenommen: Die Auseinandersetzung mit der ab Januar beginnenden „Bürgerarbeit“, jenem neuen Instrument öffentlich geförderter, gemeinnütziger Arbeit für Langzeitarbeitslose. „Das ist perspektivlos“, sagt Brandes- Steggewentz, „es wird so getan, als sei das ein Beschäftigungsverhältnis, dabei zahlen die nicht mal die vollen Sozialversicherungsbeiträge. Das haben wir uns für 2011 auf die Fahnen geschrieben.“