Iran streitet über die Religion

GRUNDSATZDEBATTE Präsident Ahmadinedschad propagiert einen „iranischen Islam“. Das bringt die konservative Geistlichkeit und die Revolutionswächter gegen ihn auf

Chamenei sagt, ein islamischer Staat ohne Geistlichkeit sei ein Widerspruch in sich

VON BAHMAN NIRUMAND

Zum ersten Mal seit seiner Machtübernahme wird Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad nun auch mit einer harschen Kritik der Revolutionswächter konfrontiert. Diese Organisation, die nicht nur militärisch, sondern auch politisch und wirtschaftlich als die wichtigste Macht im Land gilt, zählte bislang zur wichtigsten Stütze des umstrittenen Präsidenten.

Die Revolutionswächter halten Ahmadinedschad nun vor, statt einer „islamischen“ Ausrichtung eher eine „iranische“ zu verfolgen, die in die Nähe eines säkularen Nationalismus gerückt werde. „Eine Einführung von solchen Standpunkten hat keinen Nutzen, sondern sorgt für Spaltung an der Front der islamischen Revolution und stellt grundlegende Positionen infrage“, schreiben die Pasdaran in ihrer Monatszeitschrift.

Die Themen iranische Nation oder Islam sowie die Rolle der Geistlichkeit im islamischen Staat machen seit Monaten in der iranischen Presse Schlagzeilen. Anlass dazu lieferten wiederholte Äußerungen von Ahmadinedschad und seinen Mitarbeitern, die indirekt auf die Möglichkeit eines islamischen Staats ohne den Klerus hindeuteten. Das anfängliche Unbehagen über diese Äußerungen, insbesondere im Kreis der konservativen Geistlichkeit, verwandelt sich nun in offene Kritik.

Der prominenteste unter den Kritikern ist Exstaatspräsident Haschemi Rafsandschani, der der Regierung Ahmadinedschad „Feindschaft gegen die Geistlichkeit“ vorwarf. Sie versuche den Menschen einzureden, dass „die Geistlichkeit nicht die Fähigkeit besitzt, das Land zu regieren“, schrieb Rafsandschani.

Die eskalierende Diskussion veranlasste Revolutionsführer Ali Chamenei, nach Jahren wieder einmal in die heilige Stadt Ghom zu fahren, in der die wichtigsten religiösen Instanzen, die Großajatollahs, residieren. Der Besuch schien umso notwendiger, als eine ganze Reihe renommierter Ajatollahs nach der Präsidentenwahl vom Juni 2009 entweder offen die Staatsführung kritisierte oder auf Distanz zu ihr gegangen war.

Während seines dreitägigen Aufenthalts in Ghom argumentierte Chamenei mehrmals, dass ein islamischer Staat ohne Geistlichkeit ein Widerspruch in sich sei. Der Revolutionsführer forderte seine Glaubensbrüder auf, weit aktiver als bisher nicht nur an der Gestaltung der Politik, sondern auch der Kultur mitzuwirken.

Mit der zunehmenden Ausgrenzung der Geistlichkeit und der „Iranisierung“ der Politik versucht die Regierung Ahmadinedschad eine Annährung an jene Teile der Bevölkerung, die längst die Hoffnung auf eine Liberalisierung des islamischen Staats aufgegeben haben. Es ist ein riskantes Spiel. Denn die Rückbesinnung auf die altiranische Kultur wird auch die Feindschaft zwischen Iranern und Arabern, die Iran den Islam aufgezwungen haben, neu beleben.

Ahmadinedschads Äußerung, die Iraner seien kulturell jenen überlegen gewesen, die den Islam nach Iran gebracht haben, dürfte auch in den arabischen Staaten nicht unwidersprochen bleiben. Der importierte Islam sei auf der Basis der iranischen Kultur weiterentwickelt worden, fuhr der Präsident fort: „Daher müssen wir den iranischen Islam verbreiten.“

Dem widersprach vehement Justizchef Sadegh Laridschani: Der Begriff iranischer Islam stehe in Widerspruch zu den Grundsätzen des Islams, sagte er. Der Islam sei eine Weltreligion. Sie sei an keine Zeit und keinen Ort gebunden. „Das Gerede vom iranischen Islam wird nicht nur innen- und außenpolitische Folgen haben, sondern all unseren Feinden einen willkommenen Vorwand liefern, die einen Gegensatz zwischen Nation und Glauben herbeizaubern möchten.“