Die Zukunft beginnt jetzt

KINDER UND JUGEND Hier wird das Theaterpublikum von morgen mit dem Virus der Performance infiziert: Das Theater an der Parkaue feiert sein Bestehen seit 60 Jahren und die Vielfalt der Theatersprachen

Nachdem Peter den Wolf übertölpelt hat, ersinnen die Performer verschiedene Happy Endings

VON CHRISTIAN RAKOW

Zeig mir deine Freunde und ich sag dir, wer du bist. Mitunter reicht auch ein Blick auf die Leute, die du zu deiner Geburtstagsfeier einlädst. Man nehme das illustre Podium zum Thema „Wozu Staatstheater“, mit dem das Kinder- und Jugendtheater an der Parkaue am vergangenen Sonntag seine Festwoche zum sechzigjährigen Bestehen eröffnete.

Ulrich Khuon, Intendant am Deutschen Theater, war gekommen als Mastermind eines breiten Stadttheaterverständnisses und ein bisschen auch als Konkurrent, der mit furiosen Jugendstücken gelegentlich im Stammpublikum der Parkaue fischt. Martin Wölffer vertrat als Chef der Ku’damm-Bühnen den subventionsfreien Sektor, dessen Unterhaltungstheatersprache Kay Wuschek, der die Parkaue leitet, durchaus selbst mal anzapft. So jüngst in eigener Regie mit einer rasant boulevardesken Fontane-Adaption von „Frau Jenny Treibel“. Am anderen Ende des Tisches saß Uwe Bautz, Chefdramaturg des kontroversen Leipziger Centraltheaters, der beharrlich die autonome Künstlerpersönlichkeit hochhält und von einem breiten Bildungsauftrag des Theaters eher weniger wissen will.

Hohe Betriebstemperatur

In dieser heterogenen Runde fühlt sich Wuschek sichtlich wohl. Denn ohne Reibungen kommt modernes Theater nicht auf Betriebstemperatur. Und eine hohe Betriebstemperatur haben sie in Deutschlands einzigem Staatstheater für Kinder und Jugendliche. Trotz strikter Sparvorgaben und Personalkürzungen hat Wuschek seit seinem Antritt 2005 der Parkaue ein markant innovatives Profil gegeben. Mit dem Gute-Nacht-Spiel „Lichterloh“ wurde zuletzt das in Deutschland noch wenig erschlossene Schauspiel für die Jüngsten (ab drei Jahren) getestet. Es ist eine Liebesgeschichte zwischen Sonne und Mond, die die freie Gruppe United Puppets im Schein einer Taschenlampe erzählt: mit glühend geheimnisvollen Licht- und Schattenbildern.

Dort, wo Jugendliche und Erwachsene angesprochen sind, erlitt die generationsübergreifende Arbeit des Jungen Staatsschauspiels gerade einen unerfreulichen Verlust. Bis vor Kurzem stand Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ in einer bildmächtigen Rockmusik-Inszenierung von Oberspielleiter Sascha Bunge im Programm, die locker mit Brechts Epischem Theater bekannt machte. Doch musste man die Aufführungsrechte an die Schaubühne abgeben, just als der Klassiker in den Rahmenlehrplan für die Abiturstufe gehoben wurde. In der Jubiläumswoche kann man von Bunge andere Arbeiten sehen, darunter eine trashige Weihnachtsgeschichte „Leuchte Berlin, leuchte“ aus der Feder von Lothar Trolle.

Gleich mit zwei Premieren wird am heutigen Dienstag der 60. Jahrestag der Gründung des Hauses gefeiert, das 1950 als Theater der Freundschaft in Ostberlin aus der Taufe gehoben wurde. Mit „Peter und der Wolf“ von norton.commander.productions setzt die Parkaue ihre erfolgreiche Experimentaltheaterarbeit mit Künstlern aus der freien Szene fort. Lange Zeit ist dieser Abend ein Konzert, in dem nicht Instrumente (wie in Sergej Prokofjews symphonischem Märchen), sondern Musikstile vorgestellt werden: von Techno über Oper bis Heavy Metal. Dann wechseln die Akteure (Lutz Dechant, Ole Wulfers) in einen dunklen, computeranimierten Märchenwald. Vom Band spricht Irm Hermann die Erzählung ein, während Peter und seine Tierfreunde als Comicfiguren umherstreifen, bis sich der Wolf mit glutroten Augen aus dem Nebel nähert.

Nachdem Peter den Wolf übertölpelt hat, ersinnen die Performer verschiedene mehr oder weniger Happy Endings für das Stück. Denn wie in ihrer Vorgängerarbeit an der Parkaue, „Die grüne Wolke“ (2008), wird bei norton.commander beiläufig die dramaturgische Kompetenz mit geschult, dass gute Geschichten nicht die alten Pfade des Erwartbaren abschreiten, sondern die Fantasie springen lassen.

Zweckfrei umherstreifen

Derartig entspannte Erzählweisen gepaart mit performativen Ausflügen in Tanz und manchmal auch Bewegungsdada sind seit der Erfolgsinszenierung „Räuber Hotzenplotz“ von Showcase Beat Le Mot (2007) zum Markenzeichen der Parkaue geworden. Aktuell reüssiert die Tanzcrew Two Fish mit einer turbulenten Dekonstruktion des Kinderbuchs „Bettina bummelt“ von Elizabeth Shaw. „Bummeln ist schlecht“, weil eine verspätete Heimkehr Mutter Sorgen bereitet, wäre von dem Buch zu lernen. Doch für Künstler ist ja gerade dieses Bummeln, das zweckfreie Umherstreifen der eigentliche Quell des Ästhetischen. Und also feiern die Tänzer ausgiebig den langen Weg nach Hause als Zeit des Sinn- und Orientierungsverlusts. Sie jagen sich, lungern und witzeln mit ihrem Publikum (ab 5 Jahren). Und dieses johlt zurück, infiziert vom Virus der Livekunst.

So lösen diese neuen Theaterformen das Versprechen von Parkaue-Intendant Wuschek ein, mit dem erwachsenen Publikum von morgen schon heute eine Suche loszutreten, „wie das Theater des 21. Jahrhunderts aussehen könnte“. Schnell, multimedial, emotional, live. So könnte es aussehen.

■ Das Fest heute: 11 Uhr „Der Hase und der Igel“, 17 Uhr „Peter und der Wolf“, 19 Uhr „Leuchte Berlin, Leuchte!“ Infos: www.parkaue.de