KAI SCHÄCHTELE WUTBÜRGER
: Erst aufregen, dann denken

Über Ostern, dem Fest der Erleuchtung, bin ich meiner wahren Bestimmung ein Stück nähergekommen. Da nannte mich eine Freundin Wutbürger full of love. Jahrelang habe ich damit zugebracht, die Wut zu bezähmen, die in mir an die Oberfläche sprudelt wie Öl im Golf von Mexiko. Aber es gehört zur Reifung des Mannes, einzusehen, dass er sich nicht länger gegen seine Natur stemmen sollte. Irgendwo in meinem Gencode muss die Regel stehen: erst aufregen, dann denken. In mir sind Liebe und Ärger zu gleichen Teilen. Es ist deshalb an der Zeit, endlich den Furor entweichen zu lassen, den ich seit Langem in mir trage: den über mich selbst.

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendwen der Blitz meines Zorns trifft. Denjenigen, der mir sagt, dass etwas nicht geht, genauso wie den, der mir auf der Straße den Weg abschneidet, oder den, bei dem ich das Gefühl habe, dass er nicht mit derselben Akribie an den Dingen arbeitet wie ich. In einem früheren Leben muss ich Hausmeister gewesen sein oder Amtsrichter in Schwäbisch Gmünd. Wenn ich dann im mentalen Entwütungsbecken liege und mit der Milde des Dalai Lama, die ich mir über die Jahre anzutrainieren versucht habe, über das Geschehene nachdenke, komme ich regelmäßig zum Ergebnis, dass mein eigenes Verhalten ein mindestens so großes Ärgernis gewesen war. Aber ich kann ja nicht jeden Tag mit einem Körbchen durch die Gegend laufen und Entschuldigungsschleifchen verteilen. Ich möchte deshalb die Gelegenheit nutzen und bei allen Abbitte leisten, die in den vergangenen 39 Jahren Opfer meines Genoms geworden sind.

Dies gilt allerdings nicht für den Fahrer des Motorrollers, der mir heute auf einer schmalen Straße fuchtelnd entgegenkam, als sei sie sein Eigentum. Wie man sich auf ein Ding setzen kann, das klingt wie ein verrosteter Rasenmäher, und trotzdem davon ausgeht, als Verkehrsteilnehmer ernst genommen zu werden, ist mir unbegreiflich. Ein 50er-Roller ist nichts anderes als ein Furzkissen auf Rädern. So, endlich ist es raus.

Hier wüten abwechselnd Kai Schächtele und Isabel Lott