: Bei diesem Heiratsschwindler war irgendwas mit der Mutter
SOHNERSATZ Doch ein Generationenroman: „Nichts davon stimmt, aber alles ist wahr“ von Larissa Boehning
Die Grundkonstellation ist nicht unbedingt schlecht: Es gibt eine Katze, eine Frau aus der Werbung, einen Mann, der für eine Dating-Agentur arbeitet, eine reiche Moribunde. Die Katze ist dafür da, die Frau aus der Werbung und den Dating-Agenten zusammenzubringen, was ja schon sozial im Sinn von Klasse gut passt. Das klappt dann auch, obwohl die Katze weder ihm noch ihr gehört, und wie man sehen kann, hat er, Matthias Thies – besonders auf seinem biblischen Vornamen wird öfter herumgeritten –, andere Pläne, als mit der jüngeren, bedürftigen und etwas zum blumigen Erzählen neigenden Werbeagentin eine ernsthafte Kiste zu beginnen.
Die reiche alte, verwitwete Dame indes hat eine – tatsächlich – gut erzählte Geschichte hinter sich, ein Stück Kindheit im Nachkriegsdeutschland. Sie ist die Tochter einer herrischen Mutter, die in kargen Zeiten eine gut gehende Gastwirtschaft und bald auch eine Metzgerei etabliert hat. Aus der Kindheit der Dame, die nachvollziehbar unter ihrer kalten Mutter (und ihrem im Grunde abwesenden Vater) leiden musste, erfahren wir recht viel, und daraus lässt sich einiges ableiten, was schließlich den wesentlichsten Erzählstrang betrifft: Denn der gute Matthias wird in der Onlineagentur gekündigt und nimmt sich der Witwe an, durchaus mit dem Ziel, ihr Erbe zu erschleichen.
Hinter diesem Plan muss schiere Geldgier stecken oder irgendwas, was wiederum mit einem gebrochenen Verhältnis zur Mutter zu tun haben muss. Davon wird auch erzählt, aber leider nicht wirklich psychologisch. Auch scheint die Art und Weise, wie Matthias Thies sich zum Quasiheiratsschwindler und sowohl Sohn- wie Liebhaberersatz aufschwingt, nicht immer verständlich: Klar, der junge Mann, so viel sei verraten, geht weit. Sehr, sehr weit. Und überwindet dafür auch einiges an Ekel. Aber wie das genau passiert, erfahren wir im Grunde nicht, obwohl sich Larissa Boehning, Jahrgang 1971, in diesem ihrem dritten Roman durchaus bemüht, dieser Frage nachzugehen.
Leider aber ersetzt sie genaue Analyse (die nicht unbedingt eine psychologische sein muss) durch einen emotional aufgeladenen, gern ins Blumige ausufernden Stil. Diesem gesucht sensiblen Stil frönt sie besonders gern, wenn sie die Erzählerin sprechen lässt – richtig, die Werbeagentin. Wobei man auch merkt, dass eine große Nähe von Autorin und Erzählinstanz nicht per se etwas Schlechtes sein muss – Boehning arbeitet laut Klappentext immer noch als Grafikerin und kennt sich, wie man lesen kann, mit Fachbegriffen, Strategien und Abläufen in der Branche sehr gut aus.
Auch die Passagen aus der Kindheit der Dame, die hier Annemarie oder Anna Marie heißt, zeugen von guter Recherche (die Autorin bedankt sich ausdrücklich bei einer Verstorbenen für das überlassene Material) und sind auch vergleichsweise nüchterner, distanzierter, aber umso genauer erzählt. Auch die Beobachtungen, die die Erzählerin hinsichtlich des Übeltäters, des Antagonisten Matthias, anstellt, bleiben einigermaßen sachlich. Aber: Das Buch hat entschieden ein Stilproblem.
Widersprüchliche Vergleiche, etwa: „Aber die Verlassenheit überfiel mich wie eine Horde Gäste, die ich nicht eingeladen hatte“ (S. 24), oder umständliche Analogien – „Aber es hatte eine Beherrschung in seiner Stimme gelegen, eine kalte Flächigkeit, die auf etwas lag, etwas herunterdrückte, das nicht nach oben kommen durfte, eine Wut oder eine Angst, ich war mir nicht sicher, ich nahm mir nur vor, ihm schnellstmöglich seine Katze zurückzubringen“ (S. 23) – sind dabei gar nicht das Wesentliche; das Wesentliche ist, dass psychologische Erklärung durch emotionalen Kitsch verstellt wird; dass Empfinden wortreich auserzählt, aber nur selten reflektiert wird.
So bleibt die Motivik der Figuren leider immer auf einer Oberfläche, die sich von der aus Fernsehfilmen bekannten nicht sonderlich unterscheidet: Irgendwas war da mit den Müttern. Aber warum Annemarie keine Verdachtsmomente hat, was das Bemühen des jungen Verehrers betrifft, bleibt genauso außen vor wie das Interesse der Erzählerin an dieser zwielichtigen Figur. Ein moderner Heiratsschwindler, desillusioniert und gefühlskalt, das könnte tatsächlich zu mehr taugen als zu einer irgendwie unangenehmen Geschichte. Aber wie gesagt, ein Psychoporträt gelingt der Autorin nicht.
Überhaupt hat man rasch das Gefühl, Boehning habe sich diese Groteske in erster Linie ausgedacht, um der starken Geschichte aus der Kindheit von Annemarie einen Rahmen zu geben; vielleicht um dem Vorwurf vorzubauen, es sei ihr x-ter Generationenroman, den man ihr leider trotzdem machen kann. Und weil das stärkste Stück ihres oft naiv erzählten Romans aus zweiter, oder wie man so schön sagt: aus warmer Hand stammt.
RENÉ HAMANN
■ Larissa Boehning: „Nichts davon stimmt, aber alles ist wahr“. Galiani Verlag, Berlin 2014, 316 Seiten, 19,99 Euro
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