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Frauen erleben Kopfweh stärker

Weibliche Gehirne reagieren auf Schmerzreize empfindlicher als männliche. Doch obschon Frauen mehr leiden, jammern sie weniger als Männer. Damit Kopfschmerzen nicht chronisch werden, sollten Menschen frühzeitig dagegen vorgehen

VON MARTINA JANNING

Wenn es so weit ist, will Brigitte nichts mehr hören und sehen. „Es sind Schmerzen, die man nicht aushalten kann“, sagt sie. Dann helfe nur noch der Rückzug in ihre „Dunkelkammer Schlafzimmer“. Die 49-Jährige leidet seit ihrem 16. Lebensjahr an Migräne und Spannungskopfschmerzen.

Kopfweh ist in Deutschland so häufig wie keine andere Schmerzart. 36 Prozent der Frauen und fast 22 Prozent der Männer leiden mindestens einmal in der Woche daran, ergab der Bundesgesundheits-Survey 1998. Spannungskopfschmerzen quälen die Geschlechter gleichermaßen, doch Migräne peinigt mehr Frauen. Die Krankheit betrifft sie dreimal so häufig wie Männer – und sie leiden stärker.

„Wir wissen heute, dass männliche und weibliche Gehirne bei den gleichen Schmerzen unterschiedlich reagieren“, erklärt Hartmut Göbel, Chefarzt an der Schmerzklinik Kiel. Untersuchungen zeigten, dass Frauen fast doppelt so empfindlich auf Schmerzreize reagieren wie Männer. Außerdem aktivieren Schmerzen verschiedene Bereiche im männlichen und weiblichen Hirn. Ein Relikt aus Urzeiten, glauben Experten. Bei Männer werden die kognitiven und die analytischen Areale der Wahrnehmung angeregt, die die Verteidigung nach außen ankurbeln, bei Frauen jene für den Schutz der Familie und die Sorge um den Zusammenhalt.

Das hat Auswirkungen auf den Umgang mit Beschwerden. Frauen konzentrierten sich eher auf emotionale und zwischenmenschliche Aspekte von Schmerzen, berichtet Göbel. Männer verfolgten hingegen problemlösende, instrumentelle Strategien. „Sie versuchen, die Schraube zu finden, durch deren Drehen die Schmerzen nachlassen“, veranschaulicht der Mediziner und Psychologe. Das klingt nach Gelassenheit. In Wirklichkeit jedoch jammern Männern mehr, sobald sie sich eingestehen, dass ihnen etwas wehtut. Dieser Schritt fällt den meisten allerdings schwer: In Experimenten zeigte sich, dass es dem „starken Geschlecht“ peinlich ist, Schmerzen zu zeigen – besonders gegenüber einer attraktiven Versuchsleiterin. Also schalten sie erst mal auf Ignorieren und holen sich deutlich später ärztliche Hilfe als Frauen.

Doch obschon Frauen früher zum Arzt gehen, nimmt der ihre Schmerzen oft weniger ernst als bei einem männlichen Patienten. Vielleicht liege das an ihrer zurückhaltenden Schilderung, meint Göbel: „Frauen leiden mehr und jammern weniger.“ Noch würden geschlechtsspezifische Aspekte in der Ausbildung von Ärzten kaum berücksichtigt. Inzwischen sei jedoch klar, dass Frauen in der Schmerztherapie mehr Aufmerksamkeit benötigten, um ein Chronischwerden zu verhindern.

Denn „Schmerzen auszuhalten ist keine Tugend“, stellt Göbel klar. Niemand gewöhne sich an Schmerzen. Im Gegenteil: „Schmerz bewirkt immer mehr Schmerz.“ Deshalb sei es wichtig, früh zu handeln. Gegen Kopfschmerzen könnten Stressabbau, Bewegung und Übungen zur Entspannung helfen. Reichen solche vorbeugenden Schritte nicht, sind Medikamente angezeigt. „Schmerzmittel schützen das Nervensystem im Akutfall vor übermäßiger Schmerzstimulation und Stress“, sagt der Experte. „So können chronische Schmerzen vermieden werden.“ Er rät, lediglich Produkte mit nur einem Wirkstoff einzunehmen. Kombinationspräparate führten oft zu weiteren Beschwerden. Grundsätzlich sollten Schmerzmittel maximal an zehn Tagen im Monat genommen werden. Wichtig: „Bei Schmerzen, die partout nicht abklingen oder immer wieder auftreten, sollte man unbedingt einen Arzt aufsuchen“, rät Göbel.

Weitere Infos bei der Kieler Schmerzklinik (www.schmerzklinik.de) und bei der Deutschen Migräne und Kopfschmerzgesellschaft (www.dmkg.de)

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