Europäer mit falschem Wohnsitz

Weil er beim Protest gegen einen NPD-Aufmarsch Gegenstände auf Polizisten geworfen haben soll, sitzt ein niederländischer Antifaschist in Hamburg in Untersuchungshaft – seit zwei Wochen. Dabei droht ihm wohl nur eine Bewährungsstrafe

VON PETER MÜLLER

Rund vier Stunden lang dauerten die Proteste gegen den NPD-Aufmarsch im Hamburger Stadtteil Wandsbek vor zwei Wochen. Gut 2.000 DemonstrantInnen hatten immer wieder die Marschroute des Nazi-Trecks blockiert, so dass es zu teils heftigen Scharmützeln mit der Polizei kam. Diese setzte massiv Wasserwerfer ein, im Gegenzug bauten Antifas Barrikaden aus Müllcontainern oder warfen auch Gegenstände in Richtung der schweren Fahrzeuge. 28 Personen nahm die Polizei an jenem 14. Oktober fest – darunter auch Kaweh Kazrounian. Während alle Protestierer am Abend wieder freigelassen wurden, sitzt er noch immer in Untersuchungshaft. „Fluchtgefahr“, befand der zuständige Haftrichter.

Die Hamburger Staatsanwaltschaft wirft Kazrounian „schweren Landfriedensbruch“ und „versuchte gefährliche Körperverletzung“ vor. Er soll im Verlauf der Proteste einen Müllcontainer umgekippt und versucht haben, einen Stein auf Polizisten zu werfen. „Daran ist er von dem Mitbeschuldigten O. gehindert worden“, räumt der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Rüdiger Bagger, ein. Wenig später jedoch soll Kazrounian aus einem Busch am Rande eines Park heraus eine Flasche sowie einen faustgroßen Stein geworfen haben – auf „vorrückende Polizeibeamte“, so Bagger, die keine Deckung mehr durch die Wasserwerfer gehabt hätten.

In der Tat kam es am Jabobi-Park vor dem S-Bahnhof Hasselbrook, an dem der NPD-Marsch vorzeitig beendet wurde, zu unnötigen Rangeleien. Obwohl die Nazi-Route längst nicht mehr an dem Bahnhof vorbeiführen sollte, fuhr die Polizei Wasserwerfer auf. Rund 100 meist jugendliche Antifaschisten hatten sich hinter einer Polizeisperre auf der Straße zusammengefunden. Auf diese Gruppe hatten es die Polizei-Gefährte abgesehen. Als die aufs Korn Genommenen in den benachbarten Park flohen, wurden die schwerfälligen Kolosse mühsam quer zur Fahrbahn manövriert, um dann die Grünanlage zu beschießen. Einzelne Gegenstände dürften dann auch aus dieser Richtung auf die Polizei geschleudert worden sein – Beobachtern zufolge eher Verzweiflungsakte als Angriffe auf die behelmten Polizisten neben den Fahrzeugen.

Die Hamburger Anklagebehörde wertet den Vorgang jedoch als Landfriedensbruch sowie versuchte Körperverletzung. „Die Mindeststrafe liegt jeweils bei sechs Monaten Haft und aufwärts“, erläutert Bagger. Die Staatsanwaltschaft beantragte Haftbefehl und begründete ihn mit Fluchtgefahr: Der Beschuldigte wohnt in Holland und könne sich dem Strafverfahren „entziehen“.

Kazrounians Anwältin Daniela Hödl hält die Untersuchungshaft für eine „fragwürdige Entscheidung“ und den gesamten Fall überhaupt für aufgebauscht. „Niemand ist verletzt worden. Ich halte diesen Haftgrund für sehr zweifelhaft“, sagt die Verteidigerin. Ihr Mandant habe in den Niederlanden einen festen Wohnsitz und sei in ein festes soziales Umfeld eingebunden. „Für einen Haftbefehl muss eine erhebliche Fluchtgefahr vorhanden sein“, sagt die Juristin. „Wer einfach nach Hause fährt, befindet sich nicht auf der Flucht – auch wenn er im europäischen Ausland wohnt.“

Hödl sieht keinen Anlass zu vermuten, dass Kazrounian sich dem Verfahren entziehen sollte, auch wenn er zu den Vorwürfen bislang keine Angaben macht. Außerdem habe die deutsche Justiz Möglichkeiten, nötigenfalls an ihn heranzukommen – in Zeiten von Europol oder im Rahmen der europäischen Polizeikooperations-Abkommen, wenn schon Falschparker-Knöllchen europaweit eingetrieben werden können.

„Der Haftbefehl entspricht absolut der Verhältnismäßigkeit, weil eine erhebliche Freiheitsstrafe zu erwarten ist“, verteidigt Sprecher Rüdiger Bagger die harte Tour der Staatsanwaltschaft. Bei schwerem Landfriedensbruch sei Untersuchungshaft nicht außergewöhnlich, auch wenn der Beschuldigte in einem Vorort wohne. Kazrounian habe nun mal keinen festen Wohnsitz in Deutschland. „Wir müssen die Hauptverhandlung durch U-Haft sichern“, bekräftigt Bagger. Noch habe man ja „eine eigene Justiz“.

Rechtsanwältin Daniela Hödl hofft nun, dass die Richter am Hamburger Landgericht beim Haftprüfungs-Termin, der in dieser Woche stattfinden soll, den Sachverhalt etwas anders sehen. Selbst die Anklagebehörde gehe ja für den ärgsten Fall von einer Freiheitsstrafe auf Bewährung aus. Und dann wäre eine lange Untersuchungshaft bereits eine vorgezogene viel drastischere Bestrafung – zumal nach deutschem wie nach europäischen Recht vor einer Verurteilung noch immer die Unschuldsvermutung gelte. Unabhängig vom Wohnsitz in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union.