Einen Kopf größer

URAUFFÜHRUNG Blick auf Lou Andreas-Salomé am Göttinger Theater

Lou Andreas Salomé hat breite Schultern. Sie steht aufrecht vor dem Philosophen Paul Rée. Er ist mindestens einen Kopf kleiner, genau weiß man es nicht, weil er so gebückt dasteht. Er will sie heiraten. Sie lehnt ab. Sie hat alles unter Kontrolle. „Du bist ein Mann in Frauenkleidern“, wird ihr später Friedrich Nietzsche sagen, der sie auch heiraten wollte, sich aber ebenso mit einer intellektuellen Liaison begnügen musste.

Das Leben der Schriftstellerin und Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé wird derzeit im Deutschen Theater in Göttingen auf die Bühne gebracht. 1861 geboren, war sie Weggefährtin von Männern wie Nietzsche, Rée und Rainer Maria Rilke. Nietzsches Satz sorgt am Abend der Uraufführung für Lacher im Publikum. Denn was ihr Zeitgenossen verächtlich an den Kopf warfen und Nietzsche wohl als Kompliment meinte, stimmt an diesem Abend ganz physisch: Lou Andreas-Salomé wird von dem viril wirkenden Nikolaus Kühn gespielt – im Kleid.

Die Autorin Tine Rahel Völcker hat das Stück als Psychoanalyse angelegt. Andreas-Salomé hat als 50-Jährige Freuds Lehren entdeckt und bis kurz vor ihrem Tod 1937 in Göttingen als Analytikerin praktiziert. Zudem schrieb sie Romane, Essays und psychoanalytische Fachtexte. Völcker will aber mehr als biografische Notizen zeigen. Sie will sie auch reflektieren. Deswegen wird Lou Andreas-Salomé neben Kühn von zwei Schauspielerinnen, Angelika Fornell und Marie-Kristien Heger, verkörpert. Im ersten Teil kommentieren sie das Geschehen vom Bühnenrand aus. Dort liegen sie sozusagen auf der Therapiecouch.

Das Stück bricht nicht mit der verkürzten Erinnerung an Andreas-Salomés als Freundin großer Männer, sondern beschäftigt sich vorrangig mit eben jenen Beziehungen. Ihr intellektuelles und künstlerisches Schaffen bleibt Randnotiz. Die Beziehungen werden aber eindringlich dargestellt. Und es wird klar, dass Lou Andreas-Salomé eben kein Mann in Frauenkleidern war, sondern sich lediglich nicht immer den Rollenerwartungen unterwarf.  JAKOB EPLER

Die nächsten Termine: 2., 7. und 21. 5., 20 Uhr