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portraitGewiefter Taktiker an der Macht

Er ist klein, sein Englisch hat einen starken bengalischen Akzent, und er kleidet sich immer mit aufgeplustertem weißen Dhoti-Hüfttuch. Doch es wäre gefährlich, in Pranab Mukherjee, dem neuen Außenminister Indiens, einen jener Politiker zu sehen, die im dörflichen Herzland zu Hause sind und sich in der glatten Welt der Macht und Diplomatie nur schlecht zurechtfinden.

Der 70-jährige Mukherjee ist seit vergangener Woche nicht umsonst der erste Mann nach Premierminister Manmohan Singh in der Kabinettshierarchie. Mukherjee, der das Außenministerium bereits 1995 für einige Monate leitete, ist trotz Aussehen und Akzent alles andere als ein Volkspolitiker. Als solcher war er sogar höchst erfolglos. Er verlor Wahl um Wahl und musste immer wieder von seiner Kongresspartei für einen Sitz im Oberhaus nominiert werden, um Minister werden zu können. In der indischen Politik mit ihrem lärmigen Populismus ist dies normalerweise ein Todesurteil. Doch nicht für Mukherjee – und übrigens auch nicht für Manmohan Singh. Beide kompensieren ihre mangelnde Volkstümlichkeit mit intellektueller Brillanz und Schwerarbeit.

Manmohan Singh hat nicht weniger als 40 Kabinettskomitees eingesetzt, um blockierte Entscheidungen einer Lösung zuzuführen. Bei den meisten führt Mukherjee den Vorsitz. Es zeigt nicht nur seine Fähigkeit, ein gewaltiges Pensum zu bewältigen. Im Gegensatz zum Premierminister ist Mukherjee zudem ein gewiefter Taktiker, ein Mann, der wenige Feinde hat und Kompromisse schmieden kann.

Mukherjees wichtigstes Trumpf ist jedoch seine Nähe zu Parteipräsidentin Sonia Gandhi. Er war bereits ihrer Schwiegermutter Indira treu ergeben, ebenso wie Sonias ermordetem Ehemann Rajiv Gandhi. Selbstverständlich ist er auch ehrgeizig. Sein Zögern, den neuen Posten anzunehmen, wird darauf zurückgeführt, dass ihn seine häufige Abwesenheit aus Delhi nun seiner Schlüsselrolle im Machtpoker der Hauptstadt berauben wird, der ihm vielleicht einmal den erträumten Job des Regierungschefs bescheren könnte.

Das Außenministerium wird ihm aber genügend Möglichkeiten bieten, in den Schlagzeilen zu bleiben. Indiens Außenpolitik gewinnt immer mehr an Profil, nicht nur wegen der strategischen Rolle, die die USA dem Land dank der geopolitischen Konstellation zugedacht haben. Es ist vor allem das wachsende ökonomische Gewicht, mit dem Indien sich einen Platz am Tisch der Großen erkämpft. Mukherjee, der auch einmal ein geachteter Finanzminister war, wird diese Chance zu nutzen wissen, für sein Land und für sich.

BERNARD IMHASLY

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