Atlantis an der Ostseeküste

Eine Seglermarina mit Hotels soll in Boltenhagen auf ein EU-Vogelschutzgebiet planiert werden. Die Hoffnung auf 200 Arbeitsplätze in der Tourismuswirtschaft zerstreut in der strukturschwachen Region jegliche ökologische Bedenken

VON REGINA BARTEL

Wo Menschen verschiedenen Göttern dienen, da geraten sie mitunter in Zank. So auch im Ostseebad Boltenhagen, wo die Diener des Heil bringenden Tourismus und Anhänger der Natur sich über den Zaun hinweg und um den Zaun an sich streiten. Grund ist der Bau einer Marina, eines Hafens mit Hotelanlagen mit über 1.000 Betten, die zur Saison 2008 bezogen werden sollen. Die Baustelle trennt die unter Naturschutz stehende Halbinsel Tarnewitz vom Festland ab – soweit es die Wandermöglichkeiten von Tieren angeht. Ob die Wanderlust der Touristen dagegen im Zaum und vor dem Zaun gehalten werden kann, ist umstritten.

Die raffinierte Ingenieurtechnik auf der Halbinsel Tarnewitz, die den von den Nazis gebauten Flughafen nach Belieben unter Wasser verstecken und aus dem Meer wieder auftauchen ließ, ist längst verrottet. 1989, nach der Wende hatte keiner mehr Verwendung für die verfallenden Militäranlagen, die betonierten Flächen und die womöglich versteckten Altlasten. Das Tor blieb zu, die Menschen blieben draußen. Stattdessen kamen die Flechten, die Kriechweiden, Orchideen, dann Sanddorn und Birken.

Inzwischen steht auf Tarnewitz ein Wald. Darin hausen Sperbergrasmücke und Karmingimpel, Kreuzkröte und Fischotter. Sie sind die offiziellen Bewohner eines Vogelschutz- und Flora-Fauna-Habitat-Gebietes, das bei der EU-Kommission in Brüssel gemeldet und Teil des Netzwerks Natura 2000 ist. Und mit Brüssel könnte es nun heftigen Ärger geben, denn gerade Vogelschutzgebiete kann man aus europäischer Sicht nie genug haben.

In Mecklenburg-Vorpommern gilt das allerdings auch für Tourismus. Schon 1991 entstand die Idee einer Marina Boltenhagen-Tarnewitz. Es sollte für Ostsee-Segler ein attraktiver Zwischenstopp zwischen Lübeck und Warnemünde sein. Ein langwieriges Raumordnungs- und Bebauungsplanverfahren wurde in Gang gesetzt. Es wurden Gutachten erstellt, Tiere und Pflanzen kartiert, naturschutzfachliche Bedenken geäußert.

Parallel dazu verlief die Suche nach dem Mammon: „Es gaben sich hier wirklich Investoren die Klinke in die Hand und von vielen hat man sich nach kurzer Zeit doch wieder verabschiedet, weil das einfach nicht seriös war,“ beschreibt CDU-Bürgermeisterin Christiane Meier die frühe Planungsphase. Mit dem jetzigen Eigentümer des künftigen Hafen- und Hotelgeländes ist sich der Ort einig. Und als mit der Hannoveraner TUI ein Großkonzern einen auf 15 Jahre angelegten Betreibervertrag für die Hotelanlage übernommen hat, glänzte die Aussicht auf mehr als 200 Arbeitsplätze am Horizont.

Die Baufahrzeuge ziehen bereits in langer Kolonne mitten durch den Ferienort. Dann – nach fünfzehnjähriger Planung gerade erst genehmigt – sind auf Tarnewitz sofort die Bagger angerückt. Fakten werden geschaffen, die Fläche ist bereits gerodet. Eile ist geboten, weil die Fördermittel für den Fischereihafen, der in das Projekt integriert ist, noch in diesem Jahr in Anspruch genommen werden müssen.

Die Fischer bekommen eine bessere Infrastruktur und für die Touristen sei es eine Art „Folklore“, erklärt Walter Mews, Referatsleiter Tourismus im Wirtschaftsministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Eines der Ziele in der Tourismusentwicklung sei die Bewahrung naturräumlicher und kulturräumlicher Potenziale. Fischerei gehört dazu. Häfen für Segelboote gehören auch dazu.

Einen solchen gibt es gleich hinter der nächsten Landzunge der Wismarbucht bereits. Die halb fertige Bauruine Hohen Wieschendorf. Sie wird nicht weiter gebaut, Boltenhagen-Tarnewitz dagegen soll von null auf hundert „ein gehobenes Publikum“ bedienen. Ob sich das an die regionale freiwillige Vereinbarung zur Nutzung der Wismarbucht halten wird, ist ungewiss.

Langsam fahren ist angesagt, die Sandbank, auf der sich die Kegelrobben ausruhen, ist tabu. Immer schön an den Naturschutz denken, aber wenn man mal Lust auf eine Regatta hat, dann geht das: Die Gebote sind Auslegungssache.

Das gilt auch an Land: Der 900 Meter lange Zaun, der die Marina vom Naturschutzgebiet trennt, steht noch nicht. Dr. Wolf-Peter Mast, dem das Stück der Halbinsel gehört, das nach der Bebauung übrig bleibt, fürchtet, dass die Betretungsverbote, dem Vogel- und Naturschutzgebiet nichts nützen werden. Außerdem sei es „grotesk“, dass zum Beispiel eine erforderliche Ausgleichsmaßnahme für den am künftigen Touristenstrand brütenden Sandregenpfeifer genau dort geschaffen wurde, wo sich ein bereits bestehendes Vogelschutzgebiet befindet. Zumal die erforderlichen Abgrenzungen auch dort noch nicht angelegt seien und Zäune schon jetzt regelmäßig niedergetrampelt würden.

Die Halbinsel Tarnewitz lässt sich nicht mehr unter Wasser verstecken. Wenn Atlantis untergeht, dann bleibt es da.