Nichtrauchen soll Schule machen


VON SIMON KARSTEN

Kevin schnippt die ‘runter gebrannte Fluppe in den Rinnstein, bevor er den Schulhof erreicht. Auf dem Gelände des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Düsseldorf herrscht striktes Rauchverbot. Seit dem 1. August 2005 ist laut Schulgesetz das Qualmen an den Schulen in NRW verboten. „Ich will keinen Stress mit den Lehrern, da gab‘s schon mal Ärger“, sagt der 15-Jährige. Kevin trottet über den Schulhof. Hier ist das Rauchen untersagt – im Prinzip. Nach ein paar Metern, in einer Ecke, plötzlich ein Aschenbecher. Hier ist Rauchen erlaubt.

Der Grund: Die Schulkonferenzen der zunehmend autonomen Lehranstalten dürfen vom Gesetz abweichen und eigene Lösungen festlegen. Rund 43 Prozent der von der Uni Bielefeld befragten Schulleitungen haben solche Ausnahmeregelungen beschlossen. Daher führt die Gesetzlage nicht zwangsläufig zu einer Reduzierung der Raucherquote unter Jugendlichen.

Die Zahlen bleiben erschreckend: Fast jede/r dritte SchülerIn greift regelmäßig zur Zigarette. Bei den 13- bis 15-Jährigen ist der Tabakkonsum seit 1994 um fünf Prozent gestiegen. Das Durchschnitts-Einstiegsalter für SchülerInnen liegt inzwischen bei 11,6 Jahren. Im europaweiten Vergleich liegen die deutschen Jugendlichen damit weiterhin an der Spitze, gefolgt von Polen und weiteren Raucher-Republiken wie Rumänien und der Slowakei. Eine Studie der Uni Bielefeld aus dem Jahr 2001 machte zudem deutlich: Am liebsten rauchen Jugendliche in der Schule.

Dieser Entwicklung entgegen zu wirken, ist das erklärte Ziel der Landesinitiative „Leben ohne Qualm“. Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt des NRW-Gesundheitsministeriums, des Schulministeriums und der Landesgesundheitskonferenz. Darüber hinaus beteiligt sind die Landesverbände der Krankenkassen, die Ärztekammern, die Unfallversicherungen und die Deutsche Krebshilfe. Um dem Ziel einer rauchfreien Schule ein Stück näher zu kommen, veranstaltet die Initiative morgen in Duisburg einen Nichtraucherkongress (siehe Kasten). Dort werden Vertreter der Krankenkassen, Ärztekammern und Ministerien ihre Konzepte zur Suchtbekämpfung an den Schulen vorstellen und um Beteiligung werben.

Denn Eines ist klar: Mit Inkrafttreten des Rauchverbotes gab die Landesregierung das Raucherproblem an die Schulen ab. Ihnen bleibt es überlassen, Ausnahmen zu beschließen oder nicht. Den Schulkonferenzen kommt damit zunehmend die Rolle eines souveränen Kunden zu, den es zu bewerben gilt. Das Symposium richtet sich daher vor allem an Lehrerinnen und Lehrer, an Eltern und den Schulen nahe stehende Gruppen, beispielsweise Fördervereine. Auf der Agenda der Veranstaltung stehen vornehmlich Informationen zu praktischen Aspekten und Maßnahmen zur Suchtprävention.

„Wir bieten den Schulen ein Unterstützungsangebot, um schrittweise das Konzept der rauchfreien Schule umzusetzen“, erklärt Hans-Jürgen Gass, Leiter der Landeskoordinierungsstelle Suchtvorbeugung NRW ginko e.V. Dafür werden rund einhundert Prophylaxe-Kräfte unter Anleitung der Landeskoordinationsstelle in den Kampf gegen den Tabak geschickt. Die Mitarbeiter sind ausgebildete Fachkräfte der Wohlfahrtsverbände, wie der Diakonie oder Caritas, aber auch kommunale Sozialarbeiter. Durch die Koordination der Landesstelle werden sie verstärkt in den Schulen eingesetzt. Sie gehen beispielsweise in die Schulkonferenzen und stehen der Schulleitung beratend zur Seite. Sie informieren über medizinische Fragen und bieten den Schulen Kurse an, beispielsweise zur Rauchentwöhnung.

„Ich bin froh, dass es diese Art der Unterstützung gibt“, sagt Michael Heinrichsdorff, Schulleiter der Förderschule Auguststraße in Köln. „Die Gesetzeslage lässt zu viele Schlupflöcher für die Schulkonferenzen, auf die bereitwillig zurückgegriffen wird“. An seiner Schule setzte Heinrichsdorff das gesetzliche Rauchverbot für Nordrhein-Westfalen bereits 2005 konsequent und ohne Ausnahmeregelung durch. Ohne nennenswerte Probleme oder Widerstand. Seitdem zieht kein blauer Dunst mehr über den Pausenhof. Ein Maßnahmenkatalog droht Uneinsichtigen mit Sozialstunden.

Auch die von der Initiative koordinierten Antirauchkurse könnten von den Schulen in Zukunft als Sanktionsmaßnahmen eingesetzt werden. In anderen Bundesländern, beispielsweise in Niedersachsen, wird diese Form der Einflussnahme bereits seit längerem praktiziert. „Bricht ein Schüler die Nichtraucherregel zum wiederholten Male, könnte er zu einem Antirauchkurs herangezogen werden“, schlägt Hans-Jürgen Gass von ginko e.V. auch für die Schulen in Nordrhein-Westfalen vor.

Dass Schule oder schulische Tabakpolitik allein überhaupt in der Lage ist, nachhaltigen Einfluss auf Verhalten und Einstellungen zu nehmen, bezweifeln jedoch sogar die Experten. Ein an der Kölner Förderschule durchgeführter Antirauchkurs bewegte jedenfalls keinen einzigen Jugendlichen dazu, mit der Qualmerei aufzuhören.

„Schule soll heute alles leisten. Der Verfettung der Jugend vorbeugen, dem Drogenkonsum Paroli bieten. Das ist unrealistisch“, sagt Ulrich Keil vom Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin in Münster. Vielmehr müsse das Problem innerhalb der Gesellschaft verstärkt wahrgenommen werden. „Die hohe Raucherquote unter Jugendlichen muss im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang betrachtet werden. Die Diskussion um ein bundesweites generelles Rauchverbot in öffentlichen Räumen ist ein guter Ansatz, allerdings darf es nicht zu einer Verwässerung des Gesetzes kommen.“

Keil zu Folge agiert der Gesetzgeber überhaupt viel zu zaghaft. So gebe es noch immer kein Werbeverbot für Zigaretten. Auch die Tabakpreise seien im Verhältnis zum deutschen Durchschnittseinkommen weiterhin vergleichsweise günstig. Und der Tabakkonsum der Eltern suggeriere: Rauchen ist cool. Dies treffe in besonderem Maße auf Kinder aus sozial schwachen Familien zu. Durch ein unkritisches Suchtverhalten der Eltern werde das Verhalten der Jugendlichen stark beeinflusst. Keil: „Solange Tabak in der Gesellschaft präsent und mit positiven Attributen belegt ist, wird die rauchfreie Jugend eine Utopie bleiben.“