Mit Bomben und Messern

KONFLIKT Mindestens 3 Tote und 80 Verletzte bei Angriff am Bahnhof von Ürümqi. Regierung spricht von „schwerem Terrorakt“ und kündigt hartes Vorgehen an. Über die Täter ist noch nichts bekannt

VON FELIX LEE

PEKING taz | Die Bilder von Ürümqi, der Hauptstadt der nordwestchinesischen Unruheprovinz Xinjiang, erinnern erschreckend an den blutigen Angriff vor exakt zwei Monaten in der südchinesischen Stadt Kunming. Wieder gehen Unbekannte mit Messern bewaffnet wahllos auf Menschen los. Wieder findet die Attacke an einem belebten Bahnhof statt. Wieder gibt es Tote und viele Verletzte. Und wahrscheinlich handelt es sich um denselben politischen Hintergrund: Zumindest spricht das chinesische Staatsfernsehen auch dieses Mal von einem „schweren Terrorakt“.

Am Mittwochabend gegen 19 Uhr hatten Unbekannte mit Messern bewaffnet den Südbahnhof von Ürümqi gestürmt und Passanten attackiert, wie die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua meldete. Nur wenige Sekunden später seien in der Bahnhofshalle Sprengsätze detoniert.

Xinhua spricht von mindestens drei Toten und 80 Verletzten. Ein Augenzeuge berichtet im chinesischen Staatsfernsehen von „entsetzlichem Geschrei“, ein anderer von „Massenpanik“. Nur Minuten nach dem Angriff sind auf dem Kurznachrichtendienst Weibo Fotos von Verletzten, Trümmern und mit Blut verschmierten Gepäckstücken zu sehen. Doch die meisten Bilder sind nach kurzer Zeit wieder gelöscht. Die Behörden weisen die Medien offenbar an, nur Informationen von Xinhua zu verwenden. Die Öffentlichkeit soll nicht zu viele Details erfahren. Stattdessen wird signalisiert, dass die Situation unter Kontrolle ist.

Xinjiang ist Heimat der Uiguren, einer überwiegend muslimischen Minderheit im Nordwesten des chinesischen Staatsgebiets. Das Verhältnis zu den zumeist zugezogenen Han-Chinesen aus dem Kernland ist gespannt, immer wieder kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Viele Uiguren fühlen sich kulturell, sozial und politisch benachteiligt und durch die massive Ansiedlung von Chinesen im eigenen Land an den Rand gedrängt. In der Hauptstadt Ürümqi sind die Uiguren bereits in der Minderheit. Zudem würden die Sicherheitsbehörden oft brutal und willkürlich gegen sie vorgehen. Die Regierung in Peking wiederum sieht in den Protesten und der immer wieder aufflammenden Gewalt „Islamisten“, „Separatisten“ und „Terroristen“ am Werk.

Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping hatte nur Stunden vor dem Anschlag einen viertägigen Besuch in der rohstoffreichen Region beendet, die an acht Staaten grenzt – unter anderem Pakistan, Afghanistan und Kasachstan. Dabei hatte der Politiker mehrfach ein härteres Vorgehen im Kampf gegen „religiösen Extremismus“ angekündigt. Nach dem Angriff vom Mittwoch erklärte er, der Kampf gegen die Gewalt erlaube „keine Nachlässigkeit“ und erfordere „entschlossene Maßnahmen“.

Dabei waren die Sicherheitsvorkehrungen im ganzen Land schon verschärft worden, nachdem Ende Februar bei einer Messerattacke im südwestchinesischen Kunming 29 Menschen ums Leben kamen. Zuvor waren im vergangenen November zwei Männer und eine Frau auf dem Pekinger Tiananmenplatz in eine Menschenmenge gerast. In beiden Fällen machen die Behörden „Aufständische aus Xinjiang“ verantwortlich. Wer uigurisch aussieht, muss sich immer wieder Personenkontrollen unterziehen. Anfang des Jahres hat die Pekinger Polizei zudem den uigurischen Ökonomen Ilham Tohti verhaftet (siehe nebenstehenden Text). Auch ihm wird Separatismus vorgeworfen.

Der in München ansässige Weltkongress der Uiguren befürchtet, der neue Vorfall könnte weitere schwere Repressionen in Xinjiang auslösen. Dilxat Raxit, ein Sprecher der Exilorganisation, berichtet, es seien noch am selben Abend mehr als hundert Menschen festgenommen worden.