schurians runde welten
: Krumm machen in Warschau

„In dem Behelfsheim am Fußballplatz lebten wir, meine Mutter, meine Geschwister. Und ich.“ (Gerhard Schröder)

Wie ich trug auch mein Gegner die Nummer 12; ein Türke mit Fachhochschulhintergrund. Wir rangelten ein wenig, bis er wütend wurde. Nach einem Eckball brüllte er: „Du Behinderter, du Hundesohn. Geh doch zurück nach Warschau!“ Später schubste er mich, bekam vom Schiedsrichter die gelbe Karte und ich rannte einigermaßen verwirrt herum. Was soll ich ausgerechnet in Warschau?

Denke ich an Warschau, denke ich an die Bundeskanzler am Ehrenmal, an Willy Brandts Kniefall oder Gerhard Schröders Diener. Das Foto vom tief gebeugten Schröder-Rücken ist natürlich auch in seiner Altkanzler-Autobiografie zu finden. Übrigens sollte die eigentlich sein ganz privates Fußballbuch werden; Arbeitstitel: „Der Sommer, an dem ich Weltmeister wurde“.

Schon beim ersten Foto wird das klar: Zu sehen ist ein Mannschaftsbild, Schröder ist Dritter von links. Und wie die offenbar Pate stehende Erzählung von Friedrich Christian Delius (“Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“ ) beginnt auch das Werk des Lipperländer Mittelstürmers mit einem Geräusch. Delius beschreibt das ihn im Bett peinigende Sonntagsgeläut der nahen Kirchenglocken. Delius-Fan Schröder erinnert sich an das „Wummern“. Das Wummern, „wenn der Fußball an die Holzwand des Behelfsheims klatschte. Draußen Gejohle, innen klirrten die Tassen“. Schröder wollte natürlich lieber draußen sein, in der Kreisliga zum „Fußballgott“ aufsteigen und vom „Glanz“ abbekommen, den der Fußball erzeugen kann. Erst recht nach 1954. Das Endspiel sah Schröder im Kneipen-Fernsehen, schlich an der Kasse vorbei,

Doch leider bricht Schröders einfühlsamer Fußballplot schon nach wenigen Seiten ab. was mehrere Gründe hat: Bekanntlich qualifizierte sich Schröder als Kanzler nicht für die Weltmeisterschaft im eigenen Land. Und außerdem hat er ein unglaublich schlechtes Gedächtnis, was ungünstig ist, wenn man ein Buch schreiben will.

Schröder wählte deshalb den einzigen Ausweg. Er ließ Fußball Fußball sein, zapfte das Internetarchiv des Bundespresseamtes an und sein Ex-Sprecher reihte Staatsbesuche und Regierungskrisen aneinander. Die unglaubliche Ödnis, die nun die Biographie eines fast erinnerungslosen Altkanzler umgibt, wird nur notdürftig mit Plattitüden kaschiert: „Am Abend, allein in meinem Hotelzimmer,“ schreibt Schröder, nachdem er sich krumm gemacht hat in - genau! – Warschau, „wich zum ersten Mal die Anspannung dieses Tages mit seinen auf wenige Stunden komprimierten Erlebnissen. Aber ich war zufrieden“.

CHRISTOPH SCHURIAN