Aus der Täterperspektive

NS-ZEIT Uwe Fanelli hat nie gezeigtes Filmmaterial aus Zeiten des Nationalsozialismus in Göttingen gesammelt und in einem Film verarbeitet. Dabei macht er den Fehler, unpolitisch sein zu wollen

Damit begeht der Filmemacher den Fehler, unpolitisch sein zu wollen

Die Sieg-Heil-Rufe sind in der ganzen Stadt zu hören, als Adolf Hitler am 21. Juli 1932 seine Rede in Göttingen hält. 30.000 Menschen sind in den Kaiser-Wilhelm-Park im Stadtwald gekommen, um ihren „Führer“ zu sehen. Von diesem Ereignis kann der Dokumentarfilm „Göttingen unterm Hakenkreuz“ zwar nur Fotos und Audioaufnahmen vorweisen. Von vielen anderen aber zeigt er Filmaufnahmen und lässt so gut erahnen, wie es in Göttingen zu dieser Zeit zugegangen ist.

Der Filmemacher Uwe Fanelli hat zusammen mit Ehefrau und Produzentin Monika bislang nie gezeigtes Filmmaterial aus Zeiten des Nationalsozialismus in Göttingen zusammengetragen und in einem Dokumentarfilm verarbeitet. Es sind die Aufnahmen der Aufmärsche uniformierter Nazis, mit denen die Dokumentation Eindruck hinterlässt. „Wir wollten dieses Material der Göttinger Öffentlichkeit zugänglich machen“, sagt Fanelli. Ein gutes und wichtiges Anliegen.

Zweites Ziel des Filmemachers ist es gewesen, die Bilder von ZeitzeugInnen kommentieren zu lassen. Und dabei offenbart sich das große Manko des Films: „Göttingen unterm Hakenkreuz“ erzählt die Geschichte aus der Perspektive von TäterInnen oder MitläuferInnen und zeigt kaum die Schicksale der Verfolgten des NS-Regimes. Regisseur Fanelli unterlässt weitgehend Wertungen, auch auf geschichtliche oder politische Einordnungen durch Fachleute verzichtet er, wo er nur kann.

Mehr noch, die ZeitzeugInnen begeistern sich mitunter für die Aufmärsche der Nationalsozialisten: „Ich hatte ja dann auch gesehen, wie dieses Jungvolk marschierte. Das war ein sehr erhebendes Gefühl, und das imponierte mir“, sagt einer im Film. Eine andere schwärmt von den propagandistischen Musikumzügen durch die Göttinger Innenstadt. Fanelli lässt auch diese Statements unkommentiert stehen.

„Die, die die Nachkriegserziehung über Schule, Universität, Medien mitbekommen haben, sind langsam unter sich“, rechtfertigt sich der Regisseur. „Und diese Leute sollten so erwachsen sein, um einzuordnen, wer was aus welcher Perspektive erlebt hat.“ Damit begeht der Filmemacher den Fehler, unpolitisch sein zu wollen. Ein Vorhaben, das gerade in diesem Zusammenhang scheitern muss. Wenn Fanelli sagt, er wollte gar keinen Film machen, der die Nazizeit aufarbeitet – „das können andere besser“, sagt er – macht er es sich zu einfach.

Zusammen mit den Darstellungen von alltäglichen Szenen wie Fußballspielen oder vom Flanieren am Bahnhof zu fröhlicher Musik wirkt es dann manchmal so, als wäre eigentlich gar nichts Schlimmes passiert. Die wirklich hässliche Fratze der Nazis kommt in diesem Film kaum zur Geltung. Nur am Rande werden die grauenhaften Erfahrungen von JüdInnen und eines Sozialdemokraten thematisiert. Damit verharmlost der Film, wenngleich sicher nicht beabsichtigt, den Nationalsozialismus.

Trotzdem lohnt es sich, den Film anzusehen – allein schon wegen der Bilder. Und auch die Einschätzungen der ZeitzeugInnen – immerhin die wohl letzten ihrer Art – sind aufschlussreich, wenn man denn weiß, wie man sie nehmen muss.

Manchmal treffen auch die den Nagel auf den Kopf: „Damals hätte man schon wissen müssen: wenn so viele Soldaten in Göttingen sind, in einer kleinen Stadt, und so viele Kasernen, dass das nicht gutgehen konnte“, sagt ein Zeitzeuge, der mittlerweile verstorben ist. BENJAMIN LAUFER

Die DVD „Göttingen unterm Hakenkreuz“ ist ab sofort für 14,90 Euro im Göttinger Buchladen erhältlich