piwik no script img

Frische Luft kostet Geld

Wer im Schweizer Arosa einen Winterpauschalurlaub bucht, soll ab der kommenden Saison klimaneutrale Ferien machen. Ein Urlauber verursacht innerhalb einer Woche eine halbe bis ganze Tonne Kohlendioxid, die kompensiert werden will

„Es soll uns wehtun, wo es Schweizern wehtut – am Geldbeutel“

VON THOMAS PAMPUCH

Arosa ist ein Schweizer Ferienort, den schon Thomas Mann schätzte. Im Waldhotel National verbrachte er die ersten Wochen seines Exils, weshalb dessen Speisesaal nach ihm benannt ist. Wenn man Hans Kaspar Schwarzenbach, dem Tourismusdirektor Arosas, glauben will, ist er das Originalmodell des Saales, der im „Zauberberg“ eine so wichtige Rolle spielt.

Nicht bekannt ist, welchen CO2-Ausstoß Thomas Mann, geschweige denn seine Romanfiguren hier hatten. Heute allerdings will Arosa neben seinem literarischen Erbe auch sein Engagement im Umweltschutz als Standortvorteil herausstreichen und propagiert deswegen die „klimaneutralen Ferien“.

Im legendären Saal wurden hierzu kürzlich den – klimaneutral angereisten – Journalisten die Grundzüge dieses Konzeptes vorgestellt. Im Falle des Berichterstatters – Zuganreise aus München, eine Übernachtung, eine Gondelfahrt, sonst nur Wandern und Radfahren – summierte sich der Ausstoß auf 55,7 kg CO2. Das hatte die Münchner GmbH „ClimatePartner“ errechnet, und jeder Teilnehmer erhielt von Herrn Schwarzenbach, dem Erfinder des Modells, ein hübsches Zertifikat, in dem die Gemeinde Arosa versicherte, durch zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen die angefallenen Emissionen zu kompensieren. Zu diesem Zwecke werde der Kurort von Climate Partner empfohlene Zertifikate erwerben, die „nach den strengen Regeln des Kioto-Protokolls“ ausgewählte und vom TÜV Süddeutschland begutachtete Biogasanlagen der Firma Schmack Biogas AG unterstützen, bei denen Gülle zur Energiegewinnung benutzt wird.

Nach diesem Muster kann und soll in der kommenden Wintersaison jeder Tourist, der in Arosa einen Winterpauschalurlaub bucht, klimaneutrale Ferien machen. Das Einzige, was er dabei tun muss, ist, einen (elektronischen) Fragebogen auszufüllen. Bezahlt wird von der Gemeinde, die sich die Schmack’sche Kompensationstonne CO2 rund 7,50 Euro kosten lässt. Das macht für den Zug-Anreisenden aus München bei einer (Sommer-)Nacht einen Klima-Ablass von knapp 42 Cent.

Für den Wochenpauschalreisenden rechnet Schwarzenbach allerdings bereits mit einer halben bis zu einer ganzen Tonne CO2, die kompensiert werden will. Kommt der Kunde aus Miami, kosten Hin- und Rückflug allein bereits 6,6 Tonnen CO2, also rund 50 Euro.

Da trifft es sich, dass nur 10 Prozent der Gäste Arosas aus weit entfernten Gegenden kommen. Schwarzenbach bekennt sich denn auch deutlich zu der Botschaft: „Machen Sie Ferien in der Nähe und kommen Sie mit dem Zug!“ Er will die Zürcher, Stuttgarter, Münchner – und vielleicht noch die Hamburger. Die sollen bitte schön hierher, in die schöne Schweizer Bergwelt, kommen, statt auf die Malediven zu fliegen. Eine Idee, die, wenn sie die Massen ergriffe, nicht nur Arosa, sondern wohl auch der ganzen Welt klimatechnisch gesehen mehr hülfe als jede noch so edle CO2-Abgabe.

Aber es geht ja auch um „Alpine Awareness“, wie eine weitere der in Arosa vorgestellten Initiativen heißt: Touristen sollen über ihre persönliche Klimabilanz nachdenken. Die Konsequenzen trägt – zunächst – Arosa. Sollten diesen Winter ebenso viele Pauschalreisen gebucht werden wie letztes Jahr, wird das die Gemeinde – bei etwa 1.000 Buchungen für je 2 bis 3 Urlauber – an die 20.000 Euro kosten. Angesichts der insgesamt etwa 100.000 Wintergäste klingt das nicht überwältigend, aber mehr kann und will sich Arosa im Moment nicht leisten: Wollte man alle Gäste klimaneutral halten, müssten die Hotels – oder auch die Kunden – schon selbst bezahlen. Das Angebot ist also zunächst – auch – eine Werbeaktion für die günstigen Pauschalpreise, was Schwarzenbach gar nicht verhehlen will. Aber so „werden wichtige Erkenntnisse gewonnen und Klimabewusstsein verbreitet“.

Auch sonst tut Arosa allerlei Gutes für den Umweltschutz – und redet darüber. Der 1870 gegründete Kurort, in dem bis 1914 Autofahren verboten war, ist stolz darauf, dass inzwischen bereits die Hälfte der Gäste mit dem Zug – der hübschen Rhätischen Bahn – von Chur her anreisen. Dazu kommen Gratisbusse im Ort, „Heimfahrtpisten“. Und die höchst bemerkenswerten „Flyer“, die in Zukunft im Sommer allen Gästen zur Verfügung stehen sollen. Das sind Fahrräder Schweizer Fabrikats, die mit kleinen computergesteuerten Elektromotoren den Tritt „mit progressiver Unterstützungskennlinie“ verstärken und damit so etwas wie einen eingebauten Rückenwind produzieren, was das Radeln in den Bergen statt zu einer Plackerei zu einem Genuss macht.

All diese Bemühungen laufen unter dem Namen „Alps Mobility II“. Seit Anfang 2006 sind daraus die „Alpine Pearls“ entstanden, ein transalpines Netzwerk von 17 Gemeinden aus allen Alpenländern (in Deutschland gehören Berchtesgaden und Bad Reichenhall dazu), die sich zusammengeschlossen haben, um an „innovativen, umweltfreundlichen Lösungen für sanfte Mobilität, autofreien Tourismus und nachhaltige regionale Entwicklung“ zu arbeiten. „Wir wollen uns selbst unter Druck setzen“, so Tourismusdirektor Schwarzenbach. „Es soll uns wehtun, wo es Schweizern wehtut – am Geldbeutel.“

Fragt man Dominik Siegris, den (Schweizer) Präsidenten der Internationalen Alpenschutzkommission Cipra, so hält er die Initiative in Arosa „aus pragmatischer Sicht durchaus für einen Weg“, wenn er auch anfügt, dass „die grundsätzlichen Probleme durch die Zertifikate natürlich nicht gelöst werden“. Der Ort Arosa, der schon immer besser mit der Bahn als mit dem Auto zu erreichen war, mache nun „aus seiner Schwäche eine Stärke, und das ist ein toller Ansatz“.

Dass aber die Gemeinde gleichzeitig den Bau von neuen Liften plant, um eine Verbindung mit dem Groß-Skigebiet Lenzerheide zu schaffen, hält Siegris für inkonsequent und kontraproduktiv. „Neue große Ski-Infrastrukturen zu bauen ist in der heutigen Zeit unsinnig.“ Da müsse bei der alpinen Perle noch einmal nachgedacht werden. „Sonst könnte sie ihr schönes neues Image auch wieder sehr schnell verlieren.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen