: Schnelles Erwachen, kokelnder Baum
Michael Frontzeck stellt Aachens Stürmerstar Jan Schlaudraff nach dem 2:4 gegen den VfB Stuttgart an den Pranger. Er spiele nicht mannschaftsdienlich genug. Dabei hat Alemannias Trainer Probleme mit der eigenen Popularität
AACHEN taz ■ Die prähistorische Stadionuhr vor der Haupttribüne zeigte noch die Sommerzeit. Alemannia Aachen ist aus dem Stundentakt geraten – nicht nur symbolisch. Nach dem 2:4 gegen den VfB Stuttgart, der dritten Niederlage in Folge, nähert sich der Aufsteiger wieder den unteren Tabellenrängen an. Dennoch bleibt zumindest Sportdirektor Jörg Schmadtke realistisch: „Ich frage mich, was hier los ist. Zwölf Punkte aus zehn Spielen sind in Ordnung.“ Die drei Niederlagen seien natürlich bitter – und sie bleiben nicht folgenlos.
Die Gesänge werden leiser, Neunationalspieler Jan Schlaudraff gerät in Lethargie und kurvte gegen Stuttgart, wie zuletzt häufig und allmählich unmutsbedacht, mehrheitlich wirkungslos durchs Mittelfeld. Der unbeherrschte Giftgrätscher Sergio Pinto ist nach sechs gelben Karten in acht Auftritten auf einem guten Weg zum Ligarekord von Tomasz Hajto mit 16 Verwarnungen in einer Saison. „Gar nicht spaßig“ sei es gewesen, berichtete der schwächelnde Torwart Kristian Nicht, „wenn so wenig Abwehrarbeit gemacht wird und da dauernd so eine große Wand auf dich zukommt“.
Einen schlechten Tag hatte auch Alemannias Coach Michael Frontzeck erwischt. Er mahnte „mehr mannschaftliche Geschlossenheit“ an – und griff sie selbst an: „Einige im Team hängen ihr Ego zu hoch. Das werde ich nicht mehr dulden.“ Aha! Wer? Namen wollte Frontzeck nicht nennen. Dann zählte er lauter Spieler auf, die ihre Sache gut gemacht hätten. Blieb fast nur noch einer. „War Jan Schlaudraff heute als Stürmer auf dem Platz?“ wollte jemand wissen. „Fragen Sie ihn doch mal“, antwortete Frontzeck mit demon-strativ cooler Mine. So stellt man den eigenen Mann an den Pranger.
Frontzeck hat bislang keinen leichten Stand in Aachen. Beim manchmal spröde wirkenden Mann, der Begriffe liebt wie Gelassenheit, Ruhe, Realismus und der so unbeteiligt auf seiner Bank wirkt, vermissen viele die leidenschaftliche Identifikation. Frontzeck spricht bisweilen von Aachen und der Alemannia wie von einem Dritten. „Uns“ und „wir“ fehlen. „Das wäre ja traurig für einen Verein, der 36 Jahre auf den Aufstieg gewartet hat, wenn die Euphorie schon weg wäre.“
Ob Frontzeck mit dem populistischen Keulenschlag gegen Schlaudraff Punkte sammeln wollte in der öffentlichen Wahrnehmung? Der Angegriffene jedenfalls verteidigte sich vehement: Ja, in der ersten Halbzeit sei er Stürmer gewesen „mit der Aufgabe sich ab und an auch fallen zu lassen ins Mittelfeld“. Nach den Einwechslungen aber sei es „absolut so angesagt gewesen“, dass er im Mittelfeld halbrechts hatte spielen sollen. „Das wurde mir von Fielo (Christian Fiel) so mitgeteilt, als der auf den Platz kam.“ Hat Alemannia ein Kommunikationsproblem? Falsche Worte im falschen Moment können im Mediengeschäft Bundesliga fatale Folgen haben.
Die kränkelnde Alemannia, vor drei Wochen noch 19-Stunden-Tabellenführer, kennt das – ob das Erwachen nach drei Niederlagen in Folge jäh ist oder schnell, ob der Baum brennt oder erst kokelt. Cotrainer Erik Meijer, als giftgeiler Leitwolf auf dem Platz nicht ersetzt, vermisst „die gesunde Hierarchie im Team“. Und Kapitän Alexander Klitzpera sieht, dass „einzelne Leute abzuheben drohen“ und mahnt gleichzeitig „Fingerspitzengefühl der Verantwortlichen“ an. Ein Fingerzeig Richtung unsensibler Trainer.
Morgen geht es nach Dortmund. „Es wird Änderungen geben“, sagt Michael Frontzeck. Ob sie Jan Schlaudraff betreffen, seinen ungenannten Star in der Krise, ließ er offen.
BERND MÜLLENDER
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