Das ist kein Abschied

Elegant auf einem besoffenen Vergnügungsdampfer: Am Freitagabend spielten die Junior Boys im White Trash

Was für einen Termin sich die Junior Boys für ihr Berliner Konzert ausgesucht haben: Draußen zählt man die ersten Minusgrade, auf den Gehwegen türmen sich welke Blätter, und wenn es nicht stürmt, dann schneit es. So gut, wie die Sommerhitze mit dem ravenden Elektro-Indie des englischen Nerd-Kollektivs Hot Chip harmonierte, so großartig eignet sich der späte Herbst als Bild für die Musik der beiden vollbärtigen Jungs aus der kanadischen Provinz Ontario. „So This Is Goodbye“ heißt das zweite, kürzlich bei Domino erschienene Album der Junior Boys, und mit seiner Nähe zur Musik großer Wave-Melancholiker der Achtzigerjahre wie OMD, Prefab Sprout oder Human League ist es ein ätherischer Abgesang auf die Hysterie des Sommers, der einen das kalte Ende des Jahres als wohlriechende, reinigende, meditative Phase annehmen ließe, würde man nicht dauernd so erbärmlich frieren.

Leider wird diese auf Platte so elegant klingende, klug arrangierte und mit tröstendem, engelsgleichem Gesang versehene elektronische Popmusik am Freitagabend in den klaustrophobischen Gewölbekeller des Männer- und Frauenschweiß und sonstige Fahnen ausdünstenden Amüsierdampfers White Trash verbannt. Dort kämpft man sich durch einen langen Schlauch bis zur Bühne, weil die Erfahrung sagt, dass Menschen unter einsfünfundachtzig hier ab der dritten Reihe zwar noch hören, aber absolut nichts mehr sehen können. Offensichtlich wollen die Veranstalter ihren Wochenend-Bonus nutzen und den Getränkekonsum der Besucher ins Unermessliche steigern, denn um zwölf hat noch nicht mal das Vorprogramm begonnen.

Als zwei Stunden später, nach einem routinierten Kurzauftritt von Kissogram, dann endlich die Kanadier die viel zu kleine Bühne betreten, wird klar, warum es Bands wie die Junior Boys wahrscheinlich schaffen werden, Kissogram dagegen nie: Sie kennen ihre Vorbilder, haben sich deren übergroßer Einflussnahme aber rechtzeitig durch eine eigene Übersetzung entzogen, die weder live noch auf Platte wie Zoot Woman oder Heaven 17 klingt und deshalb auch nicht eklektizistisch zu nennen ist.

Das Publikum freut sich über die fröhlich rollenden Beats, die ein Schlagzeuger noch trockener macht und die in Verbindung mit Sänger Jeremy Greenspans schöner Bassgitarre aus einem Elektro-Set ein großes Popkonzert werden lässt. Das wiederum freut die Band, die um drei Uhr morgens ihre erste Zugabe spielt.LORRAINE HAIST