Investition für Intervention

Der Staat kann nicht zulassen, dass Zukunftsindustrien durch die Inkompetenz von Unternehmen ruiniert werden. Das gilt im Fall Airbus, war aber auch schon in Preußen so

Die Manager bei Airbus haben gezeigt, dass sie über die notwendige Kompetenz nicht verfügen

Die Debatte über einen möglichen Einstieg des deutschen Staats bei EADS schlägt hohe Wellen. Die Gegner des staatlichen Engagements warnen dabei vor einem drohenden Wiedererwachen des Merkantilismus. So kommentierte CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer: „Wir haben den Merkantilismus seit Jahrhunderten abgeschüttelt. Das war so richtig.“

Bedauerlicherweise werden Nutzen und Schaden des Merkantilismus für die ökonomische Entwicklung Europas meist nur im kleinen Kreis eingeweihter Wirtschaftshistoriker fern der Titelseiten und Schlagzeilen diskutiert. Dabei kann ein besseres Verständnis der historischen Rolle des Merkantilismus auch zur aktuellen Debatte beitragen.

Das erste Hindernis bei der Beantwortung der Frage nach Sinn und Unsinn des Merkantilismus ist die Schwierigkeit, zu bestimmen, was Merkantilismus überhaupt war. Manche Historiker verwenden den Begriff daher gar nicht oder nur in Anführungsstrichen. Im Unterschied zu anderen Ismen hat sich nie jemand zum Merkantilismus bekannt oder als „Merkantilist“ bezeichnet. Diejenigen Politiker, Beamten und ökonomischen Denker des 17. und 18. Jahrhunderts, die heute so genannt werden, verstanden sich nicht als Verfechter eines gemeinsamen Programms. Tatsächlich waren ihre ökonomischen Auffassungen vielfältig und widersprachen sich häufig untereinander.

Unter dem Etikett „Merkantilismus“ wurden diese verschiedenen ökonomischen Ansätze erst von Adam Smith und den anderen Begründern der klassischen politischen Ökonomie zusammengefasst. Alles, was vor ihnen in Sachen Wirtschaft geschrieben und getan worden war, bezeichneten sie mit dem abfällig gemeinten Begriff. Insbesondere verwendete Smith den Begriff, um Verstöße gegen das von ihm postulierte Prinzip des Freihandels zu brandmarken und für eine Reduzierung staatlicher Regulierung zu werben. „Merkantilismus“ war damit von Anfang an eher ein politischer Kampfbegriff als der Versuch einer präzisen Beschreibung einer wirtschaftspolitischen Epoche.

Dabei richtete sich Smith’ Kritik jedoch hauptsächlich gegen solche Regeln und Gesetze, die Arbeits- und Gütermärkte im Interesse der Reichen und Mächtigen regulierten. Er prangerte besonders die Gilden an, deren Regeln den Meistern die Ausbeutung ihrer Lehrlinge und Gesellen ermöglichten. Ebenso wandte er sich gegen die East India Company, deren Aktionäre ihren politischen Einfluss nutzten, um sich Monopole und Handelsvorteile zu sichern.

Selbst Adam Smith befürwortete im Interesse der Volkswirtschaft staatliche Investitionen

Staatliche Investitionen sah er jedoch wesentlich weniger kritisch. In einigen Bereichen forderte er sie sogar ausdrücklich. Dazu gehörten vor allem solche Bereiche, in denen Investitionen zum Wohle der wirtschaftlichen Entwicklung notwendig waren, private Unternehmer aber nicht investieren konnten oder wollten.

Damit reiht er sich in einem wesentlichen Punkt in die Tradition der vielgeschmähten Merkantilisten ein. Das kann im Grunde nicht überraschen. Die Einsicht, dass Staat und Unternehmer bei der Förderung der ökonomischen Entwicklung zusammenarbeiten müssen, ist eher banal. Vor allem aber entsprach sie der praktischen Erfahrung von Smith und seinen Zeitgenossen.

Einer von Smith’ prominentesten Zeitgenossen war Friedrich II. von Preußen. Während der Professor für Moraltheologie in Glasgow über die Prinzipien der Wirtschaftspolitik nachdachte, war der Monarch in Berlin mit den konkreten Schwierigkeiten ökonomischer Entwicklung konfrontiert. Ein Hauptproblem war dabei, dass neue Fertigungstechniken und innovative Formen von Unternehmensfinanzierung durch die Trägheit und Engstirnigkeit der preußischen Unternehmer aufgehalten wurden. So jedenfalls beschreibt es der Wirtschaftshistoriker William Henderson. Womit der Preußenkönig zu kämpfen hatte, illustrieren Anekdoten von seinen Reisen nach Schlesien: Auf einer Reise war es der Monarch, der die schlesischen Textilunternehmer darauf hinweisen musste, dass der Absatz ihrer Waren im nahen Polen dadurch beflügelt werden könne, dass sie Stoffe in Farben produzierten, die im Nachbarland in Mode waren. Auch an anderem Ort half Friedrich dem unterentwickelten Geschäftssinn seiner Unternehmer auf die Sprünge. So wies er eine Gruppe von schlesischen Textilherstellern darauf hin, dass die eleganten Bewohnerinnen von Berlin immer mehr Spitzenstoffe kauften, und bot neben der Geschäftsidee auch umfangreiche Subventionen für die Errichtung einer Manufaktur an. Nicht immer mit Samthandschuhen, aber mit mehr Geschäftssinn als Preußens Unternehmer förderte der Monarch die industrielle Entwicklung seines Reiches.

Dabei investierte der preußische Staat dort, wo private Unternehmer nicht über ausreichendes Kapital oder unternehmerisches Gespür verfügten. Wo beides vorhanden war, wie etwa in den westfälischen Provinzen Preußens, hielt sich der Staat zurück und überließ das Feld privaten Unternehmen. In vielen Fällen wurden neue Manufakturen auch durch private Unternehmer mit öffentlichen Beihilfen gegründet. Die für damalige Verhältnisse enorme Summe von 2,8 Millionen Talern wurde allein in der Regierungszeit Friedrichs dafür aufgewendet. „Public Private Partnerships“ waren in Preußen und anderen europäischen Staaten weitverbreitet und haben erheblich zu Industrialisierung Europas beigetragen. In den 1760er- und 1770er-Jahren förderte der preußische Staat die Gründung von über 1.302 Manufakturen. Dabei ist aus heutiger Sicht hervorzuheben, dass die merkantilistischen Staaten Subventionen in der Regel mit klar formulierten Zielvorgaben und Erfolgskontrollen vergaben. Ziel war es nicht, inkompetenten Unternehmern aus der Patsche zu helfen, sondern den Wohlstand durch industrielle Entwicklung zu steigern. Dazu stellte der Staat Kapital zur Verfügung. Er stellte dabei aber immer auch sicher, dass die richtigen unternehmerischen Entscheidungen getroffen wurden.

Schon Friedrich II. half dem Geschäftssinn der Unternehmer manchmal auf die Sprünge

Friedrich II. teilte keine Gefälligkeitssubventionen aus, und das sollte der Staat auch heute nicht tun. Das Airbusmanagement hat gezeigt, dass es nicht über die notwendige Kompetenz verfügt, das Unternehmen zu leiten. So wie der preußische Staat es sich vor 200 Jahren nicht leisten konnte, dass die Entwicklung der Textilindustrie durch unternehmerische Inkompetenz aufgehalten wurde, so kann es sich der deutsche Staat heute nicht leisten, dass die Zukunftsindustrie Luft- und Raumfahrt vom Airbus Management ruiniert wird. Der Staat muss sich finanziell engagieren, dabei aber sicherstellen, dass ähnliche Fehler in der Zukunft nicht wieder geschehen. Dazu sollte der Bund kompetente Vertreter in die Gremien von EADS entsenden und vor allem den Ingenieuren und der Belegschaft von Airbus ein größeres Mitspracherecht einräumen. Es ist anzunehmen, dass Letztere mehr vom Flugzeugbauen verstehen als das Airbus Management und daher nicht leichtfertig mit unrealistischen Lieferzeiten operieren.

FLORIAN SCHUI