Stromausfall beim Urteilsspruch

Mit stiller Genugtuung nehmen die meisten Bewohner der kurdischen Stadt Erbil das Urteil zur Kenntnis

ERBIL taz ■ Lange hat Abdal Shaukat Akrawi auf diesen Tag gewartet. Genau 17 Jahre, 8 Monate und 21 Tage ist es her, dass er nach monatelanger schwerer Folter aus einem der berüchtigten Gefängnisse des Saddam-Regimes entlassen wurde. „Saddam hat so viele Verbrechen begangen, dass er nichts anderes als die Todesstrafe verdient“, sagt Akrawi. Es ist zehn Uhr vormittags, noch knapp zwei Stunden wird es dauern, bis es die ersten Fernsehbilder über die Urteilsverkündung im ersten Prozess gegen Saddam Hussein und seine Schergen gibt. Doch das Kaffeehaus Majko in der Altstadt der kurdischen Regionalhauptstadt Erbil ist bereits gut besucht. Männer in den typischen kurdischen Trachten, in Anzug und Krawatte oder einfach in Jeans haben sich um die kleinen Tische versammelt und starren gebannt auf den Fernseher.

Immer wieder schaltet der Kaffeehausbesitzer zwischen den beiden Satellitensendern Al-Dschasira und Al-Arabija hin und her. Bei Al-Arabija ist Saleh al-Mutlak zu Gast, der Chef der kleinen, radikalen sunnitischen Fraktion im irakischen Parlament. Wie die meisten Männer im Majko geht auch Mutlak von einem Todesurteil aus. Vorsorglich fordert er Regierungschef Nuri al-Maliki, das Parlament und die Vereinten Nationen auf, die Vollstreckung des Urteils zu verhindern. Sie würde die Gewalt unweigerlich verschlimmern, warnt Mutlak. Keiner der Männer im Majko reagiert darauf.

Als um kurz vor zwölf Uhr al-Dschasira die ersten Bilder aus dem Gerichtssaal in Bagdad zeigt, geht ein Raunen durch das mittlerweile bis auf den letzten Platz besetzte Kaffeehaus. Als der Gerichtsvorsitzende Rauf Raschid Abdul Rahman die ersten Urteile verkündet, die von einem Freispruch bis zu lebenslänglicher Haft für den Saddam-Vize, Taha Jassin Ramadan, reichen, ist es mucksmäuschenstill. Das ändert sich schlagartig, als die Todesurteile über Saddam, dessen Halbbruder Barzan Ibrahim Hassan und den ehemaligen Chef des berüchtigten Revolutionsgerichtshofs, Awad al-Bander, verhängt werden. Als Bander die Urteilsverlesung mit dem Ruf „Gott ist groß!“ zu unterbrechen versucht, kommt unter den Männern Gelächter auf. „Soll er nur brüllen“, meint ein Gast.

Gerade als Saddam aufgerufen werden soll, fällt im Majko der Strom aus. Schnell rennt der Besitzer raus, um den Generator anzuwerfen. Saddam wird in allen Punkten der Anklage schuldig gesprochen. Im Majko bricht Jubel aus, einige klatschen laut Beifall. „Super gemacht!“, ruft ein junger Mann. Die Schimpftirade Saddams gegen das Gericht und die Amerikaner gehen in der Aufregung unter den Gästen des Majko unter. Erst nach einer Weile hört man ihn „Gott ist groß!“ rufen.

Das Todesurteil für Saddam sei eine Wiedergutmachung für seine erlittenen Qualen, sagt Akrawi. Dabei zeigt er auf die tiefe Narbe an seinem linken Handgelenk, die von der Folter geblieben ist. Während der ehemalige Kommunist freikam, wurde sein Bruder hingerichtet. „Das ist auch Gerechtigkeit für ihn“, sagt Akrawi. So sieht es auch Pisthiwani Siddik Mustafa, der im Krieg mit den Iran einen Bruder verlor. „Ich hoffe nur, dass man auch Saddams Verteidiger hängt“, sagt der Tagelöhner. Eine schnelle Vollstreckung der Todesstrafe wollen viele im Majko aber nicht. „Nun müssen auch die Verbrechen an uns Kurden geahndet werden“, sagt ein Alter. Derzeit stehen Saddam und sieben weitere Angeklagte im Anfal-Prozess wegen des Massenmordes an zehntausenden Kurden vor Gericht. Während die Männer im Majko den Tag der Urteilsverkündung als einen Freudentag feiern, geht draußen im Basar das Leben sein gewohnten Gang. Hupkonzerte oder Freudenschüsse, von denen vor allem aus den schiitischen Quartieren in Bagdad berichtet werden, bleiben in Erbil aus. Aus Furcht vor Anschlägen wurden aber auch in der kurdischen Hauptstadt die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. An Hauptstraßen sind Sicherheitskräfte postiert, einige wurden ganz für den Verkehr gesperrt. Kaum sind die Urteile verkündet, leert sich das Majko schlagartig. Akrawi ruft noch schnell seine Frau an, um ihr die Nachricht zu verkünden. „Jetzt bist du mir ein Geschenk schuldig“, sagt er heiter zu seiner Frau. Dann eilt er schnell zum Mittagessen. Der Herbstwind wirbelt Staub auf, und Erbil wirkt, als sei nichts geschehen.