Der Fluch von Kasensero

AIDS Als die Epidemie 1982 in Uganda ausbrach, glaubten alle an Hexerei. Forscher pilgerten in das Land, das zum Musterbeispiel für HIV-Bekämpfung wurde. Heute steht dieser Erfolg auf dem Spiel

 Der Ausbruch: 1982 erlagen die ersten Menschen im Fischerdorf Kasensero den Aids-Folgen. In dem Dorf, im Bezirk Rakai in Südwest-Uganda, sprachen die Leute von der Abmagerungskrankheit. Von Rakai aus verbreitete sich das Virus auf dem Kontinent. 1984 wurde der Erreger in den Blutproben aus Kasensero als HI-Virus identifiziert. 1996 wurden die ersten Patienten in Rakai mit virenhemmenden Mitteln behandelt.

 Die Ausmaße: 2009 starben in Afrika südlich der Sahara nach Angaben der Organisation UN-Aids 1,3 Millionen Menschen an Aids, 1,8 Millionen infizierten sich neu mit dem HI-Virus und 22 Millionen Menschen waren HIV-positiv. In Uganda trugen 1,2 Millionen Menschen das HI-Virus. Gut 200.000 von ihnen erhielten Medikamente. 64.000 Ugander starben 2009 an Aids. Deutschland verzeichnete 550 Aids-Tote.

AUS UGANDA SIMONE SCHLINDWEIN

Zuerst starb Eddie Migeeros Schwager, noch vor Migeeros drei Brüdern und der Schwester. Es war 1982. Der Schwager verlor den Appetit, dann die Haare. Seine Haut schimmerte gelblich. Schließlich bestand sein Körper fast nur noch aus Knochen. Eddie Migeeros Vater hatte eine Erklärung: „Etwas zehrt ihn von innen auf.“ So erzählte der Vater es Migeero, der noch ein Teenager war. Der Vater weigerte sich, an den Sarg zu treten, um sich zu verabschieden. Stattdessen zerschmetterte er Teller und Tassen im Haushalt des Toten und warf die Bettwäsche in den Müll. Der Schwager war Händler gewesen. Er pendelte zwischen seiner Heimat Uganda und dem benachbarten Tansania hin und her. „Die Tansanier haben ihn verhext und jetzt wird der Fluch auch unsere Familie heimsuchen“, warnte der Vater.

Und es kam, wie er es prophezeit hatte: Eddie Migeero erfuhr es im Busch aus einer Wochenzeitung. Er war 15 Jahre alt und kämpfte gerade als Kindersoldat in Ugandas Bürgerkrieg, für eine Rebellenarmee. Die vergilbte Ausgabe der Zeitung hat er bis heute in der Schreibtischschublade in seinem Büro: Auf der Titelseite sind fünf hagere Gesichter abgedruckt, die matten Augen eingefallen. Es ist von einer seltsamen neuen Krankheit die Rede. Eines der Fotos zeigt Migeeros Bruder. Kurz bevor er starb, griff er unters Bett und hielt Migeero die Lappen der Hornhaut hin, die sich von seinen Füßen gepellt hatte. Schwarze, verfaulte Haut. „Siehst du, was die Krankheit anrichtet?“

Als der Bruder gestorben war, zündete der Vater alles an, was die Familie besaß. Das Haus, die Möbel, die Kleidung gingen in Flammen auf. Die Menschen in dem kleinen Fischerdorf Kasensero hatten nur eine Erklärung für die seltsame Abmagerungskrankheit: Hexerei. Viele Familien zogen fort. Auch Migeeros Vater ließ Maisfelder, Rinder und Ziegen zurück. Doch selbst in der hundert Kilometer entfernten Kreisstadt des Bezirks Rakai, in dem Kasensero liegt, holte der Fluch die Familie ein. Migeero verlor weitere zwei Brüder und seine Schwester. Neun verwaiste Nichten und Neffen musste er großziehen und ihnen die Schulgebühren zahlen.

Heute ist er der Chef des Rakai-Aids-Informationsnetzwerkes, einer Organisation, die versucht, die Infektionszahlen zu senken. Damals, in den Achtzigern, sei die Krankheit wie ein Fluch über Kasensero eingebrochen, sagt er. Jetzt will er diesem Fluch Einhalt gebieten. In sein Heimatdorf ist er nie wieder zurückgekehrt.

Das Fischerdorf Kasensero, unweit der Grenze zu Tansania, gilt als der Ort, an dem Aids zum ersten Mal als Epidemie ausbrach. Dort wurde die Krankheit von Medizinern diagnostiziert. Von der Grenzregion aus hat sie sich wohl auf dem Kontinent verbreitet. Zuvor waren einzelne Fälle in den Nachbarländern Tansania, Burundi, dem Kongo, auf Haiti und in San Francisco in den USA aufgetreten. Doch 1982 erkrankten in Kasensero mehr als 30 Menschen gleichzeitig.

Als der Seuchenforscher Joseph Konde-Lule von der Symptomen hörte, vermutete er einen Typhus-Ausbruch, keine Seltenheit in diesen Jahren. Es herrschte Krieg in Uganda, das Gesundheitssystem war zusammengebrochen, es gab keine Medikamente. Die Ersten waren schon tot, als Konde-Lules wissenschaftlicher Mitarbeiter in dem Fischerdorf ankamen, um den Erkrankten Blut abzunehmen.

Mittlerweile ist Konde-Lule Professor für Seuchenkrankheiten an der Makerere-Universität in Ugandas Hauptstadt Kampala. Ein kleiner Mann mit ergrautem Haaransatz. Auf seinem Schreibtisch stapeln sich Forschungsberichte, die in bunte Ordner einsortiert sind. Neben dem Tisch ächzt ein schiefes Regal unter der Last der prallvollen Akten.

Es war nicht Typhus, das zeigten die Blutproben. „Doch an was die Menschen starben, das erfuhren wir erst Jahre später“, erinnert er sich. Er schickte einige Proben in die modernen Labore nach Europa und in die USA. 1984 wurde fast zeitgleich in den Vereinigten Staaten und in Frankreich das HI-Virus identifiziert und der erste Test entwickelt. Er bewies: Die Menschen in Uganda waren an demselben Virus erkrankt, wie Patienten in Haiti und San Francisco.

Ausgestattet mit den Methoden für HIV-Tests zog Konde-Lule 1987 durch Uganda. Nun waren auch die ersten Fälle rund um die Hauptstadt bekannt geworden. Das Ergebnis der Massentests schockierte den Forscher: Rund zehn Prozent der getesteten Erwachsenen waren HIV-positiv. Daraufhin erklärt Präsident Yoweri Museveni, der 1986 nach jahrelangem Bürgerkrieg die Macht ergriffen hatte, die Epidemie zur nationalen Gefahr.

Woher das Virus stammte, darauf hat Seuchenforscher Konde-Lule immer noch keine Antwort. „Irgendwann habe ich aufgehört, mir darüber den Kopf zu zerbrechen.“ Er zuckt mit den Schultern. Aids sei eine langsame Krankheit. Das erschwere die Forschung. „Wir fanden heraus, dass die Kranken bereits zwei bis fünf Jahre lang infiziert waren, bevor die ersten Symptome auftraten“, sagt er. Dadurch wird es schlichtweg unmöglich nachzuweisen, wann und wo sich die Menschen angesteckt hatten. Eine Schwierigkeit für die gesamte Aidsforschung.

Konde-Lule vermutet, dass das Virus aus Tansania nach Uganda eingeschleppt wurde. Viele der ersten Patienten waren Händler und reisten immer wieder nach Tansania.

Die Gräber dieser ersten Aidsopfer liegen in den Bananenhainen hinter den kleinen Backsteinhäuschen von Kasensero. Es sind schmucklose Haufen moosüberwachsener Wackersteine. Kein Grabstein, kein eingravierter Name erinnert an die ersten Aidsfälle in Afrika. Nur die leerstehenden, halb verfallenen Häuser und die unzähligen, hastig ausgehobenen Gräber in den Bananenplantagen weisen darauf hin, dass die Seuche sich von hier über das ganze Land, ja über ganz Ostafrika ausbreitete.

Der Hügel, an den sich das kleine Dorf Kasensero schmiegt, erhebt sich über die Ufer des Victoria-Sees. In der Dämmerung schimmert die spiegelglatte Wasseroberfläche in den Farben des Sonnenuntergangs. An der Anlegestelle am Strand stehen neben hunderten Holzbooten ein Dutzend Lastwagen. Mit den Truckern und Fischer hat sich das Virus in den Achtzigern über die ganze Region verbreitet.

Der Erreger nimmt immer noch ähnliche Wege. Abends treffen sich Fischer und Lkw-Fahrer an der Anlegestelle von Kasensero. Die kleine Siedlung an dem morschen Bootssteg wirkt trübselig. In den engen staubigen Gassen zwischen den windschiefen Holzhütten, die sich am Strand entlangreihen, stinkt es nach verrotteten Fischköpfen und fauligen Abwässern. Kühe rupfen die wenigen Grasbüschel, die zwischen Plastikflaschen und Bananenschalen hervorragen, aus dem feinen Sand. Die jungen Fischer grölen. Sie sind schon am frühen Abend sturzbetrunken. Unbeholfen schieben sie ihre Holzboote ins Wasser, für eine weitere gefährliche Nacht auf dem See. Im Rausch machen sie sich über die Krankheit lustig: „Warum soll ich ein Kondom benutzen?“, fragt ein junger Mann, Anfang 20. „Ein Bonbon lutsche ich ja auch nicht mit Verpackung“, lallt er. Seine Kumpane lachen, viele von ihnen sind HIV-positiv. „Anstecken können wir uns ja nicht mehr“, rufen sie und schwingen sich in den Kutter.

Das Virus könnte irgendwann einmal über den East-African-Highway nach Kasensero gelangt sein. Lastwagenfahrer aus Tansania, Ruanda, Burundi und Kongo kommen über die Überlandstraße hierher, bleiben über Nacht, trinken, nehmen sich eine Hure und tuckern am nächsten Morgen mit einer Ladung frischem Fisch wieder über den Highway.

2010: Die Leute gewöhnen sich daran. Manchen kommt Aids heute harmloser vor als Malaria

Manche verbringen die Nacht bei Niaga, die ihren echten Namen nicht nennen will. Die 30-Jährige mit den lila Strähnchen im geglätteten Haar kauert auf dem schmuddeligen Bett in einer kleinen Kammer ohne Licht. Als es draußen dunkel wird, zündet sie eine Kerze an. „Zimmer Nr. 11“ steht auf der maroden Holztür. Kasensero ist berüchtigt für seine Prostituiertenszene. Niaga, Mutter eines kleinen Sohnes, ist seit drei Jahren positiv, nimmt täglich zwei Tabletten. Das verrät sie ihren Kunden nur ungern, denn: „Die Männer zahlen ohne Kondom fast viermal so viel“, sagt sie. „Die meisten Kunden sind doch eh schon positiv, warum sollen sie sich mit Kondom den Spaß verderben?“ In Dörfern wie Kasensero, wo Armut und Alkoholismus am größten sind, wächst die Zahl der HIV-Infektionen neben den Großstädten am stärksten.

Allerdings hatte es Uganda mit einem beispiellosen Aufwand geschafft, die Infektionsrate zu drosseln. Yoweri Museveni erklärte 1986 als erster Präsident des Kontinents HIV und Aids zur nationalen Gefahr, statt das Virus wie viele Amtskollegen als Verschwörung abzutun, als etwas, das vor allem weiße Amerikaner betrifft. Indem die Krankheit so offiziell thematisiert wurde, konnte vor ihr gewarnt werden. Die Prävention begann.

Internationale Geber spendeten Milliarden für die Aidsbekämpfung. Anfangs mit Erfolg: HIV-Infektionen gingen seit Anfang der Neunziger um 70 Prozent zurück. Uganda wurde zum Musterland des Anti-Aids-Einsatzes. Es schien den Kampf gegen das Virus zu gewinnen.

Doch jetzt beobachtet Ereazer Mugisha immer wieder diesen achtlosen Umgang mit der Ansteckungsgefahr, der ihn wütend macht. Der HIV-Aids-Beauftragte des Rakai-Bezirks flucht über die Statistiken. Rakai gehört immer noch zu den Gebieten mit den höchsten Infektionsraten. Bei rund sechs Prozent liegt der Durchschnitt landesweit. Zwölf Prozent der 500.000 Einwohner von Rakai sind HIV-positiv, in manchen Fischerdörfern wie Kasensero ist die Zahl mehr als doppelt so hoch. Im Vergleich zu früher habe sich die Lage aber verbessert, betont Mugisha. 1988 waren 28 Prozent der Erwachsenen in Rakai infiziert.

Dass die Zahlen nun wieder steigen, sorgt den Beauftragten. Verantwortlich sei einerseits die höhere Lebenserwartung bei HIV-Infizierten, die fast Jahrzehnte mit dem Virus leben können – und es so auch weiterverbreiten. Die erhöhte Ansteckungsrate liege andererseits daran, dass sich die Menschen an die Krankheit gewöhnt haben. „Die Ugander verharmlosen Aids im Vergleich zu Malaria, weil man am HI-Virus nicht mehr elend zugrunde geht und es die Medikamente kostenlos gibt.“

Nach einer Schätzung aus dem Welt-Aids-Report 2010 haben in Uganda aber nur 42 Prozent Zugang zu Medikamenten, die das Virus im Blut unterdrücken, um den Ausbruch von Aids zu verhindern. Obwohl die vier Krankenhäuser in Rakai sogar nur 15 Prozent der Infizierten mit kostenlosen Pillen versorgen, verbucht Mugisha das als Erfolg. „Die Wirtschaft in unserer Region war in den Achtzigern und Neunzigern am Boden, weil uns die Menschen im arbeitsfähigen Alter wegstarben“, sagt er. Dank moderner Medizin können die Kranken arbeiten und ihre Familien versorgen. Bezahlt wird die Massenbehandlung aus dem sozialen Entwicklungsfonds der Regierung, in den wiederum Hilfsgelder aus den USA fließen.

Seit der Entdeckung von HIV hat sich der Bezirk Rakai zu einer Pilgerstätte für Virologen entwickelt. US-Forscher der renommierten Johns-Hopkins-Universität kommen seit zwanzig Jahren regelmäßig aus Baltimore eingeflogen, um Langzeitstudien an 14.000 Einwohnern des Bezirks zu unternehmen. In Kooperation mit dem ugandischen Virus-Institut haben die Wissenschaftler das Rakai-Gesundheits-und-Wissenschaftsprogramm gestartet. Die ersten Therapie-Versuche mit antiretroviralen Arzneistoffen, die den Aids-Ausbruch verzögern, fanden 1996 in Rakai statt. Auch der Seuchenforscher Konde-Lule fährt regelmäßig nach Rakai, um sich im Forschungszentrum mit internationalen Kollegen zu beraten. Auf seinem Schreibtisch liegt ein dicker Bericht – das Ergebnis einer jüngst veröffentlichten Studie: Zwei Jahre lang haben ugandische und amerikanische Wissenschaftler das Sexualverhalten von fast 6.000 Männern in Rakai untersucht. Das erstaunliche Resultat: Die HIV-Ansteckungsgefahr ist bei beschnittenen Männern deutlich niedriger als bei nichtbeschnittenen.

Konde-Lule deutet auf den Report: „Wir müssen uns in der Forschung viel stärker auf Präventionsverfahren konzentrieren.“ Das fordert er auch von Ugandas Regierung. „Von der Heilung sind wir noch weit entfernt, doch wie man die Ansteckung verhindert, das wissen wir seit 1982“, sagt er etwas forsch und hebt den rechten Zeigefinger, als würde er seine Studenten unterrichten.

Die Hilfsgelder, das beobachten auch andere Forscher, werden zum größten Teil für die Behandlung verwendet. Für die Prävention bleibt verhältnismäßig wenig.

Das größte Krankenhaus des Bezirks liegt in Kalisizo, einer verschlafenen Kleinstadt. Mehr als 2.000 HIV-Patienten erhalten hier alle zwei Monate ihre Tabletten. Auf Holzbänken warten am Morgen Kinder, junge Männer und Frauen mit Babys.

Eine Krankenschwester kommt mit einer Waage und ruft der Reihe nach Namen auf. Judith Nakato springt von der Bank. Die 21 Jahre alte Frau im braun-weißen Kleid ist aus der 180 Kilometer entfernten Hauptstadt Kampala angereist, um sich in ihrer Heimatstadt die nächste Tablettenration abzuholen. Sie stellt sich auf die Waage, lächelt zufrieden, weil sie kein Gewicht verloren hat, und betritt dann das kleine Untersuchungszimmer.

1982: Als der Bruder gestorben war, zündete der Vater alles an. Das Haus, die Möbel, die Kleidung

George Waggubulmi, der Arzt, kennt Nakato schon seit ihrem ersten positiven Test vor vier Jahren. Damals war sie schwanger. Es ging ihr gut, sie hatte nur die HIV-typischen Flecken an den Armen. „Psychisch hat mich die Diagnose aber sehr belastet“, erinnert sich Nakato. Der Arzt konnte die werdende Mutter beruhigen: Das Risiko der HIV-Übertragung auf das ungeborene Kind sei mit Medikamenten relativ gering. Heute sitzt Nakato ihrem Doktor in dem engen Zimmer mit einem tapferen Lächeln gegenüber. Routinemäßig nimmt sie jeden Morgen und jeden Abend nach dem Essen eine Tablette. Sie kann in einer Hotelküche in Kampala als Köchin arbeiten und sich um ihre gesunde Tochter kümmern. „Mir geht’s wirklich gut, ich fühle mich kräftig und fit“, versichert sie Waggubulmi. Der lächelt und unterschreibt ein Rezept, mit dem Nakato sich ihre Tabletten abholen kann. Sie verabschiedet sich mit einem ehrfürchtigen Knicks.

Bevor Nakato wieder in den Bus nach Kampala steigt, blickt sie kurz traurig auf den staubigen Boden. Ihr Freund, der Vater ihres Kindes, habe sie verlassen: „Vielleicht aus Scham oder aus Angst, sich anzustecken“, murmelt sie.

Die Patientenzahlen steigen seit zwei Jahren wieder an, stellt ihr Arzt Waggubulmi fest. „Fast jeden Tag testen wir dutzende Menschen HIV-positiv. Solange die Medikamente reichen, können alle gut versorgt werden“, sagt er. Er fürchtet aber, dass im nächsten Jahr der Nachschub ausbleibt. Korrupte Beamte hatten Millionen Dollar aus dem Globalen Aidsfonds der UN veruntreut. Die Zahlungen wurden daraufhin eingestellt. Erst zu Beginn dieses Jahres überwies der Fonds wieder 4,2 Millionen Dollar nach Uganda, um zu verhindern, dass Patienten sterben, weil Medikamente fehlen.

Der Hauptteil der Gelder zur Aidsbekämpfung stammt derzeit aus dem Notfallplan des US-Präsidenten zur Aidsbekämpfung (Pepfar), den George W. Bush 2003 aufgelegt hatte. Pro Jahr werden Arzneien im Wert von 280 Millionen Dollar nach Uganda geschifft. Amerikas Botschafter in Uganda hat Anfang Oktober betont, dass die USA diese Bürde in Zukunft nicht mehr alleine werden tragen können. Die Finanzierung von HIV-Behandlungen für Kinder kürzte der Pepfar schon in diesem Jahr um eine Million Dollar – auf nunmehr sechs Millionen. Ugandas Regierung plant dennoch 2011, die Zahl der medizinisch versorgten HIV-Positiven um mehrere zehntausend zu erhöhen. So wären in den Folgejahren bis zu einer Viertelmillion ugandische Aidspatienten von den Hilfsgeldern aus den USA abhängig. „Und sie werden es ihr Leben lang bleiben“, sagt der George Waggubulmi, der Arzt.

Als Folge der weltweiten Finanzkrise, überlegt er, könnten die Lieferungen in Zukunft aber weniger werden. „Dann sterben viele, weil sie zu arm sind, um sich die Tabletten leisten zu können“, sagt der Doktor. Sie kosten sieben Dollar pro Packung. Nach einer Woche ohne Tabletten verschlechtere sich der Zustand der Kranken rasch, die Viruslast wächst. „Wenn die Leute zu schwach sind, um 100 Kilometer ins Krankenhaus zu fahren, sterben sie binnen weniger Monate, meist allein zu Hause.“

Rund 140 Kilometer entfernt sitzt Olivier Hasal abgemagert auf einer Plastikmatratze ohne Laken im kargen Gesundheitszentrum von Kasensero. Hasal ist 50. Sie atmet schwer, ihre müden Augen haben dunkle Schatten. Die wenigen widerspenstigen Haare stehen zu allen Seiten ab. Aus einem Stofftuch kramt sie eine Tablette hervor. „Das ist die Letzte“, sagt sie und wickelt die kleine weiße Pille sorgfältig wieder ein. Hasal hat ihren Ehemann und ihre beiden Kinder an Aids sterben sehen. Sie weiß: Wenn ihr niemand eine neue Packung besorgt, wird auch sie dem Fluch von Kasensero erliegen – wie Eddie Migeeros Schwager vor 28 Jahren.

Simone Schlindwein, 30, ist sonntaz-Autorin. Nach zwei Jahren in Uganda wundert sie sich immer noch, wie alltäglich Aids dort ist