: Verfolgungsjagd ins Paradies
SLAPSTICK Peter Høegs Gespür für Religiöses – der Roman „Die Kinder der Elefantenhüter“
Willkommen auf dem bunten Jahrmarkt der Weltreligionen! Hier gibt es die große Revue für alle: für Sinnsucher, Krimifreunde, Humorgourmets, ewige Kinder, zu früh erwachsen Gewordene und alle, die es gern bunt haben – farblich, sprachlich, inhaltlich. „Die Kinder der Elefantenhüter“, der neue Roman des dänischen Autors Peter Høeg („Fräulein Smillas Gespür für Schnee“), ist Räuberpistole, Kriminalgeschichte, Entwicklungsroman, er ist verrückt und großartig und voller Superhelden, deren Superkräfte allein darin bestehen, sich auf die eigene, innere Kraft zu verlassen.
Einer davon ist Icherzähler Peter Finø, 14, lebhaft auf Finø, Dänemarks Gran Canaria, eine Insel im „Meer der Möglichkeiten“, die viele Schüsse der Weltgeschichte nicht gehört, wo aber dafür jeder Einwohner irgendwie einen Knall hat. Die Insel ist voller Anhänger von Religionen aller Art: Protestantismus, Katholizismus, Buddhismus, Islam, Fußball, Selbstherrlichkeit, Liebe. Peters Vater ist Inselpastor und Hobbykoch, die Mutter Organistin und Tüftlerin. „Elefantenhüter“ nennen die Kinder sie. Es ist das schönste Bild in einem bildgewaltigen Buch.
Elefantenhüter haben einen Elefanten in sich – die Sehnsucht nach Großem, nach dem Erkennen, dem Beweis und dem Verstehen. Im Gottesdienst helfen die Eltern der Frohen Botschaft mit Special Effects nach, und das mit so viel Erfolg, dass sie bald auf Welttournee gehen und sich gar zur religiösen Finanzberatung hinreißen lassen, was sie allerdings ins Gefängnis bringt. Gerade war das fast vergessen, da sind die Eltern verschwunden. Ausgerechnet am Karfreitag.
Getreu dem Motto „Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit“ machen die Kinder sich auf die Suche nach ihren Eltern: Peter, der sich mit Fußballtricks durch alles durchwurschtelt, seine Schwester Tilte, die alle von allem überzeugen kann, und der Älteste, Hans, lammfrommer Astrophysikstudent, der nur, wenn es um Frauen in Not geht, zum Berserker wird. Verfolgt werden sie von einem drogenabhängigen Grafen, einer dicken Bischöfin, einem machtbesessenen Psychiatrieprofessor, einem verliebten Polizistenpaar und einem bösen Reeder. Die Erwachsenen sind schwerfällig, durchgeknallt, korrupt oder verblendet von Geld, Liebe oder Macht. Der Leser, mit du angesprochen, wird zum Mitverschwörer, der aus vollem Herzen Gesetzesbrüche und auch Knochenbrüche gutheißt bei dieser Slapstick-Verfolgungsjagd.
Ziel ist Kopenhagen, dort tagt der erste Kongress aller Weltreligionen, dort könnten die Eltern ein großes Verbrechen begehen – oder milliardenteure Kirchenpretiosen vor Terroristen schützen, das ist unklar. Mit viel Fantasie und herrlicher Lakonik rennt Peter Høeg mit dem Leser durch die Geschichte. Sein Humor ist treffend, ganz leise, ganz bescheiden. Etwa wenn er schreibt, dass Eltern eigentlich ein Examen bestehen müssten fürs Kinderkriegen: „Auch wenn Tilte meint, dass in meiner Kindheit nichts Gravierendes passiert ist, was nicht mit zwei Jahren Jugendknast und fünf Jahren Therapie wieder einzurenken wäre, dann möchte ich dazu doch bemerken: Falls man unseren Vater und unser Mutter nicht hätte durchfallen lassen, dann lediglich aus Mitleid.“
Was Kindheit mit Fundamentalismus zu tun hat, erzählt dieses Buch, und wie nah die Religionen einander doch sind in ihrer Arroganz, in ihrem Suchen, in ihrer Paradiesvorstellung (sieht alles aus wie das Gartencenter von Finø). Und am Ende hat man mehr verstanden über Liebe, Einsamkeit und Freiheit. Auch, dass es keine Antworten gibt, nur Ahnungen – und die Sehnsucht. Elefanten aller Religionen, vereinigt euch! DANIELA ZINSER
■ Peter Høeg: „Die Kinder der Elefantenhüter“. Aus dem Dänischen von Peter Urban-Halle. Hanser, München 2010, 488 Seiten, 21,90 Euro
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