Düsseldorfer Schule

Jürgen Rüttgers macht einen auf kritisch und schenktdem Philosophen Jürgen Habermas den NRW-Staatspreis

Der Sozialphilosoph Max Horkheimer war auf Jürgen Habermas nicht besonders gut zu sprechen. Der damalige Leiter des Frankfurter „Instituts für Sozialforschung“ hatte den Assistenten seines Freundes Theodor W. Adorno für „zu links“ befunden. Die Vordenker der Kritischen Theorie und der Studentenrevolte von 1968 schoben Habermas vorerst auf das Abstellgleis. Er habilitierte sich schließlich im Jahr 1961 beim sozialistischen Politologen Wolfgang Abendroth. Das konservative Establishment konnte darüber nur die Nase rümpfen.

45 Jahre später ist alles vergessen. Heute Abend erhält der Sozialphilosoph in Bonn den mit 25.000 Euro dotierten Staatspreis des Landes NRW. „Jürgen Habermas ist ein großer Denker europäischer Kultur und steht in der Tradition unseres Abendlandes und der Aufklärung“, begründet NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) die Entscheidung der Landesregierung. Der in Düsseldorf geborene und im bergischen Gummersbach aufgewachsene Wissenschaftler habe sich niemals von Parteipolitik vereinnahmen lassen. Fraglich, ob es dabei bleibt.

Nach der Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer im vergangenen Jahr ist Habermas nun der zweite Preisträger, der von der schwarzgelben Landesregierung ausgezeichnet wird und seine politischen Wurzeln nicht unbedingt im klassisch konservativen Milieu hat. Man hätte dabei vermutlich eher den Historiker Paul Nolte als Preisträger erwarten können. Der neoliberale Wissenschaftler gilt als Ideengeber für Rüttgers‘ Buch „Worum es heute geht“ aus dem Jahr 2005. Doch die Forderungen nach einem „Sozialabbau als Kernelement einer neuen Klassengesellschaft“ und dem „Abschied vom bequemen Kollektivismus“ scheinen nicht mehr so recht ins Raster des gefühlten Sozialdemokraten Rüttgers zu passen.

„Die CDU hatte über Jahrzehnte immer ein Ohr für die Sorgen von Rentnern und Arbeitnehmern mit schmalem Gehalt, sie war nie eine Partei der Bosse“, sagte Rüttgers gestern dem Spiegel – und auch sonst wildert er gerne auf der anderen Seite: Rüttgers ist gegen Steuersenkungen für Unternehmen, will mehr Geld für Langzeitarbeitslose und liest plötzlich Habermas.

Dem rechten Rand seiner Partei dürfte er dabei mächtig vor den Kopf stoßen. Die Wochenzeitung Junge Freiheit, seit Jahren Bindeglied zwischen Konservatismus und extremer Rechten, reagierte auf die Nominierung mit beißender Polemik. Rüttgers wird als „Habermas-trunken“ beschrieben – Habermas selbst als „Zerstörer der geistigen Freiheit“ stigmatisiert: Die Neue Rechte hat Habermas immer noch nicht verziehen, dass er während des Historikerstreits der Jahre1985/86 die „Singularität“ des Nationalsozialismus hervorhob und sich gegen den Revisionismus der konservativen Historiker stellte. Zu den Wissenschaftlern, die damals im Feuilleton der FAZ gegen Habermas Stellung bezogen, gehörte auch der heutige Welt-Kolumnist und damalige Kohl-Berater Michael Stürmer. Rüttgers hat wohl andere Vorbilder als sein ehemaliger Kanzler.

HOLGER PAULER