TONI KEPPELER ÜBER DIE WAHLEN AUF HAITI AM SONNTAG: Wahlgang ohne Alternative
Wenn Wahlen nur sinnvoll sind, wenn Frieden und Ordnung herrschen, alle Wahlberechtigten die zur Stimmangabe nötigen Unterlagen haben und die Wahlbeamten keine Lust am Manipulieren verspüren, dann hätte in Haiti noch nie gewählt werden dürfen. In der jüngeren Geschichte des Landes wurden Wahlen immer von Unruhen und Gewalt begleitet, hinterher folgten Fälschungsvorwürfe. Die Wahlbeteiligung lag häufig weit unter 50 Prozent.
Wenn das die Regel ist, müsste dann die Wahl vom Sonntag nicht besser verschoben werden? So etwas hat es schon unter weitaus günstigeren Bedingungen gegeben, ohne dass die Hauptstadtregion von einem Erdbeben zerstört war und ohne landesweite Choleraepidemie. Die Frage ist nur: Wann wird es besser sein in Haiti? Die Choleraepidemie kann nach Einschätzung von Gesundheitsexperten noch Jahre dauern. In den über zehn Monaten seit dem Beben wurden nicht einmal alle Trümmer beseitigt. Die großzügig versprochene internationale Hilfe tröpfelt nur – auch weil das Gegenüber einer handlungsfähigen Regierung fehlt. Eine Verschiebung des Termins ändert nichts am Problem.
Ob aus der Wahl eine handlungsfähige Regierung hervorgehen wird, ist nicht sicher. Aber sicher ist, dass es zu erheblichen Unruhen gekommen wäre, hätte Präsident René Préval den Termin verschoben. Man hat ihm schon vorher vorgeworfen, er wolle selbst in die Töpfe der internationalen Hilfsgelder greifen. Kein einigermaßen aussichtsreicher Kandidat hätte eine verlängerte Amtszeit Prévals akzeptiert, die jeweiligen Anhänger hätten entsprechend hitzköpfig reagiert.
Deshalb ist es gut, dass gewählt wird, trotz allem. Haiti kann neben seiner doppelten Not nicht auch noch politisches Chaos und Gewalt verkraften. Wenn die Wahl am Sonntag das verhindert, ist sie schon ein Erfolg.
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