Erster Sieg für die Opposition in Kirgisien

Nach tagelangen Demonstrationen gegen die Regierung entlässt Präsident Kurmanbek Bakijew den Innenminister. Das dürfte die Opposition nicht zufrieden stellen. Sie fordert eine neue Verfassung, um Vetternwirtschaft und Korruption zu bekämpfen

AUS BISCHKEK MARCUS BENSMANN

Lenin hätte sein wahre Freude. Auf einem zerbeulten Kastenwagen stehen die furchtlosen Redner, über ihren Köpfen weht eine rote Fahne und am Himmel scheint die warme Novembersonne. In Bischkek, der kirgisischen Hauptstadt, stehen vor dem aus weißem Marmor erbauten Präsidentenpalast 6.000 Männer, Frauen und Halbwüchsige und fordert den Rücktritt des Präsidenten Kurmanbek Bakijew und seines Premierministers Felix Kulow. „Bakijew ketze“ – „Kulow ketze“ ertönt aus den Lautsprechern, der Schlachtruf wird von der Menge aufgenommen und ertönt aus tausend Kehlen. Vor dem drei Meter hohen schmiedeisernen Gitter, das den Regierungssitz umgibt. haben am Morgen kirgisische Polizisten Stellung bezogen und eine Menschenkette gebildet. Innerhalb des Präsidentenpalasts sind kirgisische Spezialeinheiten stationiert, auf dem Dach lauern Scharfschützen. Hundestaffeln und berittene Einheiten halten sich in den weitläufigen Parks, die das kirgisische Weiße Haus umgeben, in Deckung.

Es ist der fünfte Tag der Proteste gegen den kirgisischen Präsidenten Kurmanbek Bakijew. Die Opposition, ein loses Bündnis von aufmüpfigen Abgeordneten, ehemaligen Weggefährten und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen haben sich zum Bündnis für „Reformen“ zusammengeschlossen und fordert von Bakijew eine neue Verfassung. Diese soll dem zentralasiatischen Staat eine parlamentarische Regierungsform geben. Es soll Schluss sein mit Vetternwirtschaft und Korruption. Bakijew und Kulow sind durch einen Umsturz im März 2005 zu Amt und Würden gekommen. Nun fordern die ehemaligen Parteigänger die Erfüllung der damals gegebenen Versprechen.

Unweit des Weißen Haus stehen vierzig rote Zelte und sieben Jurten, in denen die Protestler die Nächte verbringen. Bakijew hatte versprochen, gestern Morgen dem Parlament einen Verfassungsentwurf vorzulegen. Stattdessen präsentierte er jedoch lediglich Verfassungsänderungen. Sie greifen zwar einige Oppositionsforderungen auf, dürften aber erst innerhalb von drei Monaten vom Parlament entschieden werden. Über eine neue Verfassung hätte man sofort beraten können.

Die kirgisischen Volksvertreter fühlen sich hintergangen. Sie boykottieren die Sitzung und viele von ihnen schließen sich den Demonstranten an. Gegen 16.30 Uhr kommt Dynamik in den Protestaufmarsch. Einige der Polizisten, die zuvor das Weiße Haus geschützt haben, laufen zu den Demonstranten über.

Kurz darauf feiert die kirgisische Opposition den ersten Sieg. Bakijew feuert nach Verhandlungen mit der Opposition den Innenminister Guronow und stattdessen wird Omurbek Suwanaliew ernannt, der der Opposition nahe steht. Nach seiner Ernennung klettert er auf den Kastenwagen. „Ich werde niemals auf das Volk schießen“, sagt er unter dem Jubel der Fahnen schwenkenden Menschen.

Wie zu hören ist, sollen Vertreter der Opposition noch in der Nacht die Möglichkeit haben, im kirgisischen Fernsehen aufzutreten. „Die Ereignisse entwickeln sich schnell“, sagt Edil Baisalow. Der 30-Jährige leitet die NGO für Demokratie und Reformen und gehört zu den Talenten der noch jungen Bürgergesellschaft Kirgistans. „Noch kann Bakijew die volle Amtszeit bleiben, wenn er einer neuen Verfassung zustimmt“, sagt Baisalow.

Der Präsidentensprecher erklärt, dass jeder in Kirgistan das Recht zu demonstrieren habe, aber der Präsident sich nicht einschüchtern lassen werde. Auch weist er die Gerüchte zurück, Bakijew wäre aus dem Amtssitz geflüchtet. Zudem sagt er, dass die Änderungsvorschläge, anders als von der Opposition dargestellt, ein Kompromiss seien.

In Bischkek nimmt jedoch schon wenige hundert Meter von der Kundgebung entfernt das Interesse der Bevölkerung ab. „Diese permanente Aufregung behindert mich, mein Brot zu verdienen“, sagt ein Geschäftsmann. Ein Student erklärt, dass das wohl nichts mit Demokratie zu tun hätte, wenn einige tausend Menschen je nach Lust und Laune den Rücktritt des Präsidenten fordern könnten. Die meisten Geschäfte in der kirgisischen Hauptstadt schließen bereits bei Einbruch der Dunkelheit. Zu tief sitzt die Erinnerung an die Plünderer im März vergangenen Jahres, die direkt nach der Flucht des damaligen Präsidenten Askar Akajew die Innenstadt verwüsteten .