Patriarchen ruinieren ihre Firma

Nach Schätzungen von Statistikern könnten 2006 über 35.000 Unternehmen Insolvenz anmelden. Georg Bitter von der Uni Mannheim wollte wissen, warum: Er befragte 300 Insolvenzverwalter

taz: Herr Professor, selbst große Unternehmen wie BenQ können in kürzester Zeit Pleite gehen. Wie kommt das?

Georg Bitter: Erstaunt hat uns, dass diese Unternehmen oft stark gewachsen sind, ohne dass auch die Geschäftsführung ausgebaut worden wäre. Häufig haben Leute aus dem technischen Bereich eine gute Idee auf den Markt bringen können. Dann werden Mitarbeiter eingestellt, die Produktion wird ausgebaut. Aber dass zu einem größeren Betrieb auch ein größeres Controlling gehört, wird vernachlässigt. Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass solches Verhalten noch immer gängige Praxis ist.

Was ist die Folge?

Irgendwann verlieren die Inhaber, die Geschäftsführer den Überblick. Sie haben ihre Firmenkennzahlen nicht parat, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Viele können nicht sagen, wie ihr Unternehmen finanziell dasteht, ob sie einen neuen Großauftrag bewältigen können. Wenn dann noch eine konjunkturelle Schwäche dazukommt, steht der Unternehmer plötzlich mit leerer Kasse da.

Stimmt es, dass sogar Leute fehlen, die unbezahlten Rechnungen hinterherjagen?

Die Insolvenzverwalter sagen, sie könnten oft nicht nachvollziehen, welche Forderungen bezahlt wurden, welche nicht. Da werden Rechnungen gefunden, die monatelang offen sind. Es fehlen Unterlagen, ob die Leistungen überhaupt erbracht wurde. Ausfallrisiken werden nicht abgesichert. Dabei helfen Kreditversicherer, an sein Geld zu kommen, wenn der Auftragnehmer die Leistung nicht bezahlt.

Welche Rolle spielt die Psychologie in dem Spiel?

Eine immens große, gerade wenn wir über inhabergeführte Unternehmen sprechen. Solange der Laden läuft, ist der Patriarch unangefochten Chef im Haus, so wie Vater und Großvater vor ihm. Er entscheidet alles, kann nichts delegieren. Wenn so ein Unternehmer dann kurz vor der Insolvenz steht, hat er große Schamgefühle, Angst vor Bloßstellung. Und dann begehen sie oft den letzten folgenschweren Fehler: Die Insolvenz wird zu spät beantragt.

Ist mit einem Patriarchen ein erfolgreiches Insolvenzverfahren überhaupt möglich?

Eher nicht. Die Insolvenzverwalter gehen nach einem Erstgespräch mit dem Inhaber meist direkt eine Etage tiefer. Da stoßen sie auf Mitarbeiter, aus denen die Ideen nur so sprudeln, wie der Firma geholfen werden kann. Nur sind die über Jahre abgeblockt worden. Aber es soll jetzt nicht der Eindruck entstehen, patriarchale Führung ende immer in der Insolvenz.

Wann muss eine Insolvenz scheitern?

Wenn etwa die Löhne längere Zeit nicht ausgezahlt wurden. Dann geht das Insolvenzgeld sofort dafür drauf. Es kann also nicht mehr helfen, die Mitarbeiter für die kommenden drei Monate abzusichern. Oft machen die Banken auch nicht mehr mit, sobald Insolvenz besteht. Die wollen dann bloß noch ihre Sicherheiten verwerten. Und wenn die Insolvenz schon absehbar war, sind die guten Kräfte meist schon von Bord gegangen, die jeder Verwalter für eine erfolgreiche Sanierung braucht.

Welche Rolle spielt das schlechte Image des Insolvenzverfahrens?

Eine große. Der Begriff „Konkurs“ wurde gerade deshalb durch „Insolvenz“ ersetzt. Das Insolvenzrecht soll helfen, ein angeschlagenes Unternehmen zu retten. Es war Ziel des neuen Rechts, dass Insolvenzanträge früher gestellt werden. Geholfen hat es nicht. Noch immer wird das Insolvenzverfahren nicht als Chance für einen Neuanfang begriffen, 70 Prozent der Anträge kommen immer noch zu spät.

INTERVIEW: THORSTEN DENKLER