Shared Space im Stau

MITEINANDER Der Senat präsentiert konkrete Vorschläge für das Konzept des fließenden Verkehrs. Vor Ort im Viertel, in Tenever und Huchting löst die Idee vom gleichen Asphaltniveau für alle vor allem Irritation aus

Noch hat Bremen die Chance, als erste deutsche Großstadt mit dem Konzept von Shared Space Schlagzeilen zu machen

14.000 Autos und 13.000 Menschen in der Straßenbahn passieren die Kreuzung von Dobben und Humboldtstraße täglich beim „Rotkäppchen“. Dazu Tausende auf dem Rad und zu Fuß: Die Kreuzung ist ein Scharnier zwischen der Bremer Innenstadt und dem Viertel. Geht es nach dem grünen Senator für Verkehr, Reinhard Loske, wird dort bald Shared Space erprobt: Verkehrsschilder und Ampeln fallen weg. Bürgersteig, Radwege und Fahrbahn verlieren ihre Begrenzung und verschmelzen auf einem ebenerdigen Asphaltniveau von Hauswand zu Hauswand.

Derzeit läuft ein Abstimmungsprozess zwischen Behörden und BürgerInnen. Bei einer öffentlichen Anhörung im Viertel kritisierten vor allem AnwohnerInnen und blinde Menschen die Pläne.

Neben dem Dobben hat das Verkehrsressort weitere Straßenräume in Osterholz-Tenever und Huckelriede ausgewählt. Letztere hat der Neustädter Ortsbeirat allerdings schon am 8. November abgelehnt: Einstimmig bewertet der Fachausschuss zur Stadteilentwicklung andere Vorhaben als dringender und das Konzept als derzeit nicht umsetzbar, wie die stellvertretende Ortsamtsleiterin Gudrun Junghans darlegt. Es geht um das abgeknickte Ende der Kornstraße nahe des Autobahnzubringers. „Warum ausgerechnet dieses Stück?“, fragt Junghans. Insgesamt seien die Pläne zu unklar.

Schon zuvor gab es Protest gegen eine mögliche Verkehrsberuhigung im Quartier, vor allem auch durch Geschäftsleute. Ähnlich argumentiert Ulrich Schlüter, Ortsamtsleiter in Osterholz-Tenever: Ihm wurde Shared Space für die St. Gotthart-Straße vorgeschlagen.

Im Viertel befürchten AnwohnerInnen chaotisches Parken und Rowdie-Manieren von Auto- und FahrradfahrerInnen. Daneben haben blinde Menschen starke Bedenken wegen des hohen Verkehrsaufkommens. Gerade das brauche man aber, damit sich jenes rücksichtsvolle Fließen zwischen FußgängerInnen, Fahrrad- und AutofahrerInnen einspiele, sagen die Befürworter.

Ein zweiter Punkt: Blinde Menschen befürchten Orientierungslosigkeit im Shared Space. Der Landesbehinderten-Beauftragte Joachim Steinbrück betont dabei die „Schieflage zwischen Schulkind und LKW“ – man könne es aber probieren, meint er. Die frisch sanierte Straße „Vor dem Steintor“ kritisierte er gleichzeitig als „Pollerland“ voller Barrieren. Bei der jüngsten Straßenerneuerung waren dort Ansätze hin zu Shared Space diskutiert, aber nicht realisiert worden. Dafür wiederum wird das Verkehrsressort kritisiert, auch aus dem Beirat „Östliche Vorstadt“. Dort scheinen die Lager polarisiert: Für Daniel Olano von der SPD kommt die Dobben-Kreuzung nicht in Frage, andere freuen sich über den Pioniercharakter.

Bevor der eigentliche Planungsprozess beginnen kann, müssen die Projektpläne von der Baudeputation genehmigt werden. Auch in Hamburg werden derzeit Shared-Space-Areale diskutiert, die Pläne stecken allerdings im Stau. Noch hat Bremen die Chance, als erste deutsche Großstadt mit dem Konzept Schlagzeilen zu machen.

ANDREAS KOOB