VON DOROTHEA HAHN ÜBER NEBENSACHEN AUS PORT-AU-PRINCESCHLANGE STEHEN IN HAITI
: Warten auf begehrte Karten

Alle sind größer hier. Und alle haben eine lautere Stimme. Ich werde wie eine Stoffpuppe hin und her geschüttelt. Gelegentlich geht die verspiegelte Glastür vor uns einen Spalt breit auf. Von der anderen Seite stemmen sich mehrere Polizisten dagegen, von unserer Seite drücken Journalisten aus aller Welt sowie ihre haitianischen Fahrer und Übersetzer dagegen. Durch den geöffneten Türspalt dringt eine Frauenstimme. Die Namen der Fernsehsender, Radios und Zeitungen, die sie aufruft, sind in dem Geschrei nicht zu verstehen. Wer in Port-au-Prince, in der Nacht vor den Wahlen, seine Pressekarte abholen will, muss körperlich stark sein.

Schon bei meiner Ankunft vor zwei Tagen, als ich die Karte beantragt habe, fiel mir auf, wie viele Leute in dem Büro der Wahlkommission herumstanden. Und wie untätig sie wirkten. Auf den Arbeitsflächen ihrer Schreibtische stapelten sich Akten und Umschläge. Als wäre schon lange niemand mehr dazu gekommen, die Post zu öffnen.

Als ich an jenem Tag einen Beschäftigten der Wahlkommission um die Liste der Wahllokale in der Hauptstadt bitte, lehnt er ab. „Keine Zeit“, antwortet er. „Gehen Sie ins Internet!“ Als ich insistiere, schlägt ein anderer vor, ich möge einen haitianischen Führer engagieren. Die seien darauf spezialisiert, Information zu besorgen. Schließlich erklärt sich ein dritter bereit, in seinen Computer zu gucken. Umständlich spannt er ein Kabel quer über die vollen Tische in der Pressestelle der Wahlkommission. Als er zehn Minuten später nicht fündig wird, gehe ich.

In den Tagen danach komme ich an zahlreichen Büros vorbei, vor denen Haitianer auf ihre Wahlkarten warten. Es sind dichte Menschentrauben. Und aus denen die meisten Wartenden abends ohne Karte nach Hause gehen.

Ohne Pressekarte kann ich am Wahltag nichts machen. Mir bleiben sieben Stunden bis Sonnenaufgang und Beginn der Wahl. Ich brülle los: „ta-ges-zei-tung“. Und bin verdutzt darüber, wie viel Ellenbogen ich habe. Ich komme weiter. Plötzlich stehe ich wieder in dem bekannten Durcheinander von Aktenbergen und Beschäftigten.

Die Pressekarten sind noch nicht fertig. Der mit ihrer Herstellung beauftragte Computerfachmann hat es nicht geschafft. In Handarbeit entstehen hunderte neue Karten. Lange nach Einbruch der tropischen Nacht gehe ich zurück in mein Hotel. Die Pressekarte baumelt als Trophäe an meinem Hals.