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: Einblicke in empfindliche Sozialstrukturen: Wenn die Wildtiere zurückkommen

Als hierzulande nahezu ausgestorben galt einst der Wanderfalke. Das Insektizid DDT hatte das Kalk seiner Eier so dünn und zerbrechlich gemacht, dass Nachwuchs unmöglich wurde. Heute lässt sich der pfeilschnelle Vogel beim Sturzflug auf eine verhutzelte Taube sogar in Kreuzberg beobachten. Und auch am Roten Rathaus und am Reichstag brüten Wanderfalken. Viel schwerer hat es da der Braunbär, wenn er alte Reviere zurückerobern will. Vor allem, wenn er von Österreich über Bayern kommt, sich an einem Schaf vergreift und der Umweltminister Schnappauf seine Zähne wetzt. Dennoch: Die Rückkehr der Wildtiere ist im Gange. Nun hat der Biologe Robert Hofrichter dem Phänomen ein interessantes Buch gewidmet. Es kommt optisch zwar brav daher, liest sich aber durchaus angenehm. Konzentriert hat sich der Autor auf eine Auswahl zumindest seltener oder im ursprünglichen Siedlungsgebiet ausgestorbener Arten, die er in unverklärendem Tonfall porträtiert. Historische, kulturgeschichtliche und psychologische Aspekte des Zusammenlebens der einzelnen Spezies mit dem Menschen werden dabei angemessen berücksichtigt.

Klar, wenn Hofrichter angesichts eines aggressiven Wildtiers argumentiert, dass tödlich giftige Pilze ja auch nicht konsequent ausgerottet würden, nur weil von ihnen potenzielle Gefahr ausgehe, dann könnte der bayrische Umweltminister und Bärenkiller Schnappauf entgegnen: „Der Knollenblätterpilz hat aber noch nie aktiv ein Schaf oder einen Bienenstock angegriffen.“ Doch egal. In den einzelnen Kapiteln werden nun Luchs, Elch, Wolf, Waldrapp und andere Tiere vorgestellt und wird ihr Verbreitungsgebiet auf Karten markiert. Geschmückt sind die Abhandlungen mit literarischen und kulturgeschichtlichen Texten aus allen Jahrhunderten. Stiche aus Märchenbüchern zeigen den „bösen“ Wolf, und Fotos dokumentieren das blaue Auge eines rumänischen Jägers, der im Maisfeld einem Bären begegnete.

Unterschiedliches Material ist da zusammengetragen und anschaulich vernetzt worden. Das schafft eine angenehme Atmosphäre, in der sich nicht nur der LeserIn, sondern auch die Wildkatze, das sehr unbekannte Wesen, wohlfühlt. Der Waldrapp, der etwas seltsam auf das Cover montiert wurde, dieser eigenartige Ibis mit seinem nackten, roten Kopf und dem schwarzen Federbusch, lässt fröhlich sein rabenähnliches Krächzen ertönen. Selten genug ist er ja, dieser zutrauliche Vogel, von dem gerade mal 200 Exemplare in freier Wildbahn leben. Um 1550 war der Waldrapp in Europa noch häufig zu finden, ja er wurde gern verspeist. Und wer die venezianischen Karnevalsmasken kennt – langer Schnabel, roter Kopf, schwarze Federn –, der weiß sofort, welches Tier hier Pate stand. Heute ist diese Ibisart eine der seltensten Vogelarten.

Im Sommer dieses Jahres klärte mich Karin Pegoraro, Verfasserin einer Blaumeisen-Monografie in der Brehm-Reihe und international renommierte Waldrapp-Kennerin auf, wie es derzeit um den Vogel steht: Eigentlich lasse er sich sehr gut vermehren. Zum Glück gebe es in Zoos und Gehegen weltweit inzwischen 2.000 Exemplare. Dennoch bleibt die Wiederansiedlung in freier Natur aufgrund seiner empfindlichen Sozialstruktur ein extrem kompliziertes Unterfangen. In der „Rückkehr der Wildtiere“ widmet Hofrichter der Waldrapp-Wiederansiedlung in den österreichischen Alpen denn auch ein ausgiebiges Kapitel.

Voller Neid schaut Deutschland auf die in Österreich wieder heimisch gewordenen Bären, den über die Alpen segelnden Bartgeier und tröstet sich mit den in Brandenburg eingewanderten Wölfen, die zwar im Buch erwähnt werden, auf der Verbreitungskarte dort aber noch nicht angekommen sind. Dem Wolf, der so lange ungerechterweise als Sinnbild des Bösen durch Märchen und Mythen strich, ist das zum Glück ganz egal. WOLFGANG MÜLLER

Robert Hofrichter: „Die Rückkehr der Wildtiere“. Leopold Stöcker Verlag, Graz-Stuttgart, 256 Seiten, 29,90 Euro